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Kerstin von Gabain - no minimum Event
Eröffnung/Opening: 16.03.2010, 19.00 Uhr / 7 p.m.
Ausstellungsdauer/Duration: 17.03.2010 - 24.04.2010
Kerstin von Gabains besonderes Interesse am popkulturellen Ausdrucksrepertoire beruht auf ihrer langjährigen Beschäftigung mit der Free-Party-Szene der 1990er-Jahre, die sich als subkulturelles Gegenmodell zur kommerziellen Rave- und Technoszene verstand und selbstorganisierte Partys in abgelegenen, meist illegalen Locations bei freiem Eintritt veranstaltete. Diese Szene dokumentierte sie als behutsame Chronistin mit Interviews und Fotos in ihrem 2009 erschienenen Buch No More Partys In Se Öbb Halls. Die konzeptuell gestaltete Dokumentation ist ebenso Kunstbuch wie eine Form von Jugendkulturgeschichtsschreibung. Durch ihre spezielle Perspektive als Künstlerin und “Insiderin” forcierte von Gabain darin sowohl poetisch verschwiegene als auch gesellschaftlich symptomatische Nuancen.
In ihrer aktuellen Ausstellung No Minimum konterkariert Kerstin von Gabain das Rave-Umfeld der maximalen Verausgabung und Verschwendung mit ihrem virtuos reduzierten Vokabular. Konkret zu sehen sind Farbfotografien von der Fuckparade 1999 in Berlin in Kombination mit einer Soundskulptur, bestehend aus einem alten Kassettendeck, auf dem eine gelöschte Musikkassette abgespielt wird. Weiters besteht die Ausstellung aus geometrischen schwarz-weißen Line Drawings auf Papier und einer Videoarbeit, die sich auf einen Clip von der Fuckparade 2000 bezieht, der in den letzten Jahren auf YouTube Kultstatus erlangte.
Die erste Fuckparade fand 1997 statt. Intendiert war sie nicht zuletzt als Protest gegen die Berliner Love-Parade, die durch ihre hohen Teilnahmegebühren und die damit einhergehende Verdrängung alternativer Techno-Musikstile zum Ausdruck einer Kommerzialisierung der Szene und des öffentlichen Raumes geworden war. Während einer späteren Fuckparade entstand schließlich der Clip “KNEECAM NO. 1 - the original technoviking tape from 2000”, der einen durchtrainierten Paradeteilnehmer mit Wikingerbart und freiem Oberkörper dabei zeigt, wie er einen Mann, der eine junge Raverin anpöbelte, mit Drohgebärden vom Platz verweist, danach aus einer Wasserflasche trinkt und einen Flyer zerreißt. Der Clip, der 2006 auf YouTube auftauchte, wurde bisher 12 Millionen Mal aufgerufen, erhielt 30.000 Kommentare und wurde in zahlreichen Video-Responses nachgestellt und kommentiert. Die Titel der skurrilen “Video Responses” reichen dabei von der “high school edition” bis hin zur “yunkyard”- und “Made in Italy”-Version.
Auch Kerstin von Gabain greift in ihrem Video The original kneecam recording from 2000 die zentrale Geste aus dem Technoviking-Clip auf. Man sieht die Künstlerin, wie sie die eindrucksvolle machohafte Drohgebärde des Technoviking nachahmt. Isoliert in der Galerie erscheint die Gebärde in einer Ambiguität zwischen Kampfansage gegenüber den BetrachterInnen, dem Umfeld und seinen Ansprüchen und einer nüchternen weg- bzw. abweisenden Geste. Im Zusammenhang mit dem aufgeladenen Titel des YouTube-Clips mischt sich von Gabain mit ihrer Geste und ihrem Titel aber auch provokativ in die Frage nach der Originalversion ein.
Durch den Bezug auf YouTube thematisiert von Gabain die Verschiebung popkultureller Praktiken und Räume im Zeitalter des Web 2.0, in dem das kreative und kritische Potential der jugendlichen UserInnen unter dem Begriff der ?Social Software” erfolgreich kommerziell aktiviert wurde. In der YouTube-Do-it-Yourself-Kultur werden Clips produziert, eigene Hypes kreiert und diese durch unzählige Video-Responses und kreative Cover-Versionen kommentiert, sowie selbstermächtigend angeeignet. In Bezug auf Michel de Certeaus Buch “Die Kunst des Handelns” wurden diese Praktiken lange Zeit als eine Art subversive textuelle Wilderei verstanden, durch die Fans bzw. RezipientInnen die Medien zu eigenen Zwecken und mit alternativem Lustgewinn verwenden. Im Kontext von Web 2.0 und seinen avancierten Geschäftsmodellen zeigen diese emanzipatorischen Praktiken nun aber auch ihre kommerzielle Anschlussfähigkeit.
Der mediale öffentliche Raum von YouTube, in dem sich ein Maximum an popkulturellem visuellem Output entwickelt hat, schwelgt im Hintergrund von Gabains losgelöster minimaler Geste der Selbstermächtigung. Im Gegensatz zu diesem digitalen und medialen Trubel wirken von Gabains Farbfotografien von der Fuckparade wie Dokumente einer minoritären melancholischen Community, die eher nachdenklich verstreut im Stadtraum auftaucht. Ihr scheinbar beiläufiger fotografischer Blick belässt die Szene in anmutiger Distanz.
In Nachbarschaft zu den Fotos wird die Arbeit ants in the mixing disk von 2010 gezeigt. Sie beinhaltet eine von der Künstlerin zufällig gelöschte Musikkassette mit gleichem Titel, die vor circa zehn Jahren innerhalb der Free-Party-Community kursierte und im Austausch vervielfältigt wurde. Die Kassette wird in einem 1990er-Jahre Kassettendeck und mit einem Mischpult und Lautsprecher abgespielt.
Als anachronistische Soundskulptur, die nur die eigenen Motorengeräusche des mittlerweile altmodischen Kassettendecks und das Rauschen des Bandes überträgt, vermittelt sie auf poetische und nostalgische Weise die Kurzlebigkeit popkultureller Stile, Technologien, sozialer Interaktionen und Bedeutungen sowie der damit verbundenen Freiräume und biographischen Bezüge. Damit thematisiert Kerstin von Gabain einen Moment des Ausbleichens und des Verschwindens. Auch in den feinen geometrischen Linienzeichnungen finden sich Spuren der handgezeichneten psychedelischen schwarz-weißen Logo-Fahnen (“back-drops”), die zum ästhetischen Inventar der illegalen Technoszene gehören.
Popkultur ist seit den 1960er-Jahren ein Gegenstand der Auseinandersetzung von bildenden KünstlerInnen, wobei Kerstin von Gabain zur bereits dritten KünstlerInnen-Generation gehört, die mit Popmusik aufgewachsen ist. Im Unterschied zur ersten Generation, für die Popkultur mit Aufbegehren, Revolte und gesellschaftlichen Utopien verknüpft war, droht sich Popkultur seit den 1990er-Jahren in einer “Entropie ihrer Allgegenwärtigkeit” (Diedrich Diederichsen) aufzulösen. Aber auch darin sind feine Unterschiede auszumachen. Kerstin von Gabain lenkt den Blick immer wieder auf ambivalente Momente, in denen sich temporär Freiräume öffnen. Es sind allerdings Freiräume, die oft erst im Verschwinden und in ihren Spuren deutlich werden.
Text: Cosima Rainer