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La Biennale di Venezia: Anna Jermolaewa Event
Anna Jermolaewa – SWAN LAKE
Österreich-Beitrag zur 60. Internationalen Kunstausstellung
La Biennale di Venezia
20 April - 24 November 2024
SWAN LAKE lautet der Titel des österreichischen Beitrags auf der Biennale Arte 2024 in Venedig, den die Künstlerin Anna Jermolaewa gestalten wird. In ihrer Arbeit erweist sich die in Leningrad (UdSSR) geborene und seit 1989 in Wien lebende Anna Jermolaewa immer wieder als genaue Beobachterin des menschlichen Zusammenlebens, seiner gesellschaftlichen Bedingungen und politischen Voraussetzungen. Oft sind es scheinbar unbedeutende, alltägliche Manifestationen dessen, die sie in kritischer, gleichzeitig aber humorvoller Art und Weise hinterfragt. Humorvoll-anekdotisch ist die Kunst von Anna Jermolaewa jedoch nur auf den ersten Blick, dahinter steckt eine klar erkennbare Kritik an politischen Machtstrukturen, Ideologien und gesellschaftlichen Missständen.
Anna Jermolaewa
Der österreichische Pavillon auf einen Blick
Anna Jermolaewa präsentiert fünf ausgewählte Arbeiten, je eine in den vier Räumen des Pavillons und eine weitere im Innenhof.
Rehearsal for Swan Lake (2024), entstanden in Zusammenarbeit mit der ukrainischen Balletttänzerin und Choreografin Oksana Serheieva, nimmt Bezug auf eine Jugenderinnerung der Künstlerin: In Zeiten politischer Unruhen, zum Beispiel nach dem Tod eines Staatsoberhaupts, strahlte das sowjetische Fernsehen Schwanensee aus … manchmal mehrere Tage lang in Dauerschleife. In der sowjetischen kulturellen Erinnerung wurde Tschaikowskis berühmtes Ballett zu einem Code für Machtwechsel. Bei Rehearsal for Swan Lake probt eine Gruppe von Tänzerinnen ausgewählte Szenen und verwandelt Schwanensee somit von einem Mittel der Zensur und Ablenkung in eine Form des politischen Protests: Die Tänzerinnen proben für den Regimewechsel in Russland.
Live-Performances von Oksana Serheieva
1., 2., 14., 15., 16., 28., 29., 30. Juni 2024
12., 13., 14., 26., 27., 28. Juli 2024
9., 10., 11., 23., 24., 25. August 2024
6., 7., 8., 20., 21., 22. September 2024
jeweils um 13.30 / 16.00 / 18.30 Uhr
4., 5., 6., 18., 19., 20. Oktober 2024
1., 2., 3., 15., 16., 17. November 2024
jeweils um 12.30 / 15.00 / 17.30 Uhr
24. November 2024
jeweils um 15.00 / 17.30 Uhr
The Penultimate (2017) besteht aus einer Serie von Pflanzenarrangements: Nelken, Rosen, Tulpen, Kornblumen, Lotus, Safran, Jasmin, eine Zeder und ein Orangenbäumchen. Diese beziehen sich auf sogenannte, meist friedliche »Farbrevolutionen«, Volksaufstände, für die bestimmte Farben und Pflanzen als Symbole oder Bezeichnungen dienten. Mit roten Nelken hieß Portugal 1974 einen Militärputsch gegen die Diktatur willkommen.
Danach wurden 2003 in der georgischen Rosenrevolution und 2007 in der kirgisischen Tulpenrevolution Blumen als Symbole für die Proteste verwendet. Ebenso von diversen Medien als »Farbrevolutionen« charakterisierte Aufstände: 2005 die Zedernrevolution Libanons, Tunesiens Jasminrevolution 2010 und die Lotusrevolution in Ägypten 2011. Die ukrainische Orange Revolution in 2004, die Safranrevolution in Myanmar 2007 und die fehlgeschlagene Kornblumenrevolution in Weißrussland 2006, deren Namen auf die jeweiligen Farben zurückzuführen sind, werden hier mit der entsprechenden Pflanze dargestellt. Als Stillleben präsentiert, gemahnen die Pflanzen in der Installation daran, was undemokratische Regime am meisten fürchten: einen vom Volk ausgehenden Umsturz.
Nach dem Krieg war es der sowjetischen Bevölkerung verboten, Tonträger mit populärer Musik, insbesondere Jazz oder Rock aus dem Westen, zu besitzen. Personen, die mit derartigem Schmuggelgut erwischt wurden, drohte eine Gefängnisstrafe. Sowjetische Tontechniker:innen entwickelten daraufhin eine Methode, um dieses Verbot zu umgehen: Sie kopierten Alben auf gebrauchte Röntgenaufnahmen, die von Krankenhäusern entsorgt worden waren. Diese Röntgenfolienaufnahmen mit Spitznamen „Rippen“, „Musik auf Knochen“ oder „Knochen“ wurden bis zum Aufkommen der Audiokassette auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Mit einer Auswahl dieser sowjetischen Tonaufnahmen rekurriert die Arbeit Ribs (2022/24) auf die ursprüngliche Funktion des Trägermaterials, indem es auf medizinischen Röntgenfilmbetrachtern ausgestellt wird. Im österreichischen Pavillon werden einmal täglich ausgewählte Röntgenaufnahmen auf einem Plattenspieler abgespielt.
In Research for Sleeping Positions (2006) versucht Jermolaewa, in Kapuzenpulli und Wintermantel gehüllt, auf einer Sitzbank auf dem Wiener Westbahnhof einzuschlafen. Sie probiert verschiedene Positionen aus, allesamt unbequem. 17 Jahre zuvor, als sie als politischer Flüchtling nach Österreich kam, verbrachte sie ihre erste Woche auf einer Bank auf demselben Bahnhof und schlief jede Nacht darauf, bis sie im Flüchtlingslager Traiskirchen landete. Die Künstlerin stellt diese Erfahrung nach, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Die Bank hat nun Armlehnen, mit dem Zweck, Menschen davon abzuhalten, darauf zu schlafen.
Das Readymade Untitled (Telephone Booths) (2024) im Innenhof des Pavillons besteht aus einer Reihe von Originaltelefonzellen aus dem österreichischen Flüchtlingslager Traiskirchen. Mit diesen sechs auf den ersten Blick unscheinbaren Telefonapparaten wurden angeblich die meisten internationalen Anrufe in ganz Österreich getätigt. An den Wänden stehen Notizen von Asylsuchenden. Die Zellen fungieren als Kapseln eines Spektrums an Gefühlen – sie weisen auf die Unsicherheit, aber auch die Hoffnung von Menschen auf der Flucht hin, die ihr Zuhause hinter sich gelassen haben und nicht wissen, was als Nächstes passieren wird. 1989 benutzte Jermolaewa genau dieselben Telefonzellen, um ihre Familie in Leningrad zu verständigen, dass sie im Westen angekommen war. Durch den Mobilfunk obsolet geworden, wurden die Apparate in Traiskirchen erst kürzlich abgebaut. In den Giardini haben sie nun ein zweites Leben bekommen: Die Telefonzellen sind funktionstüchtig und können von den Besucher:innen benutzt werden.