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verlängert bis 11. März 2023
Opening + book launch: January 19, 6 - 9 pm
Unter vielem anderem ist das Seltsame an Menschen, dass kaum einer mit einem anderen identisch aussieht. Es gibt die genetisch vermittelten Ausnahmen, die Zwillinge. Manche von ihnen schaffen es ins Show-Business, wie einst die Kessler-Zwillinge aus der Zeit meiner Jugend: zwei schöne Damen, die vor der Kamera harmonisch zusammen tanzten. Aber es ist klar, dass auch Zwillinge nicht identisch sind, mögen sie noch so verwechselbar sein. Zugleich sind alle Menschen „irgendwie“ einander ähnlich, man erkennt sofort das Allgemeine an ihnen. „Hier ist ein Mensch“, sang Peter Alexander, eine einsame Größe in derselben Branche wie die Kessler-Zwillinge.
Auch er hat die Menschlichkeit sofort erkannt! Die artistische Lust, die Vielheit in der Einheit der Menschen abzubilden, und zwar ganz genau, liegt auf der Hand. In Thomas Bernhards „Alte Meister“ spielt so ein Porträt eine Rolle: Tintorettos „Weißbärtiger Mann.“ Tintorettos Bild, das im Showbusiness des Kunsthistorischen Museums seinen Dienst tut, ist ein Meisterwerk, weil es dem Maler gelang, das principium individuationis in Reinkultur zu erfassen, also den stets vereinzelten Menschen ohne die sozialen und modischen Accessoires von einst. So etwas spielt sich auch in den Porträt-Fotos von Juergen Teller ab, aber während der selbstgemalte Klassiker an der Wand die Idee einer Ordnung widerspiegelt, zeigt der Fotograf von heute das Unaufgeräumte des Daseins und wie sehr die Dinge des Alltagslebens den Menschen ihr Gesicht geben.
Franz Schuh, Wien, 2023
KOENIG2 by_robbygreif: Adéla JANSKÁ | Opening: January 19, 6 - 9 pm
Wir gehen oft mit einem selektiven Blick durchs Leben, vor allem, wenn wir zwischenmenschliche Vorgänge wahrnehmen. Indem so das Bekannte und das Unbekannte unterscheidbar gemacht werden, ist diese Selektion ein unerlässlicher Mechanismus gegen die Gefahren der Reizüberflutung und daher von grundlegender Bedeutung für die Interpretation von Erfahrungen. Was aber geschieht, wenn dieser menschliche Schutzalgorithmus ausgeschaltet wird? Die Gemälde von Adéla Janská (* 1981 in Olomouc, Tschechische Republik) entziehen sich instinktiv der Beschränktheit durch solche Wahrnehmungsgrenzen. Denn sie schaffen einen Raum, in dem das Bekannte mit dem Unbekannten verschwimmen, in dem Sein und Nichtsein kollidieren, in dem sich die sinnliche Erfahrung und die Sensation eines Déjà-vus kommutativ zueinander verhalten.
Dieser Effekt ist in Janskás erster Einzelausstellung in Wien besonders deutlich zu erkennen: Wer sind all diese Frauen? Bin ich ihnen nicht schon irgendwo begegnet? All diese visuellen Entitäten der Weiblichkeit, Bewohnerinnen einer virtuellen Welt, die sich hinter den Wänden von KOENIG2 auftun, sind mir irgendwie vertraut. Ich habe plötzlich das Gefühl, von Bekanntschaften, entfernten Verwandten aus einer anderen Zeit und einem anderen Ort, umringt zu sein. Wie durch Fenster prüfen sie meine Präsenz, scheinen aber die trennende Barriere zwischen unseren Realitäten nicht transzendieren zu wollen. Mit ihrer magischen Fähigkeit, Zeit und Raum außer Kraft zu setzen, ohne physische Interaktion zu berühren, wird schnell offensichtlich: Diese Malereien sind keine Porträts, sondern Darstellungen kollektiver Frauenbilder. Durch die Verschmelzung des allgemeinen Körperlichen mit dem individuellen Psychologischen schafft Janská ein noch ungeahntes Potenzial für die visuelle Repräsentation von Weiblichkeit: Der materielle Status der Subjekte, ihre Körperlichkeit, wird im ideellen Sinne zur bloßen Darstellung ihres Konzepts abstrahiert, während ihre Form durch denselben Prozess konkretisiert wird.
So verwandeln sich Jankás Frauen von banalen Vehikeln individueller Mimesis zu semantischen Trägern gemeinschaftlicher Inhalte, wobei sich in ihre Pseudo-Porträts ein Element der Ambivalenz mischt: Eine Narration, die fast unsichtbar durch das Abgebildete schimmert und widersprüchliche Gefühle hervorruft, irritiert und zugleich beruhigt. Ich erahne die verborgene Welt der Gefühle und Erfahrungen, die gewöhnlich nur bedingt durch äußere Attribute wie Haltung, Gestik und Physiognomie kanalisiert wird, und ich habe das Gefühl, dass sich Mephisto in diesen Frauen mit Gretchen vereint: Passiv statische Anmut und Eleganz werden durch markantes Selbstbewusstsein moderiert, durch eine Bereitschaft, sich jederzeit aggressiv zu aktivieren.
Doch es ist nicht nur ihre Aura, die uns vor Rätsel stellt: Glänzende, porzellanartige Schleier, die den Frauengesichtern aufgelegt sind, verleihen ihnen nicht nur einen strahlenden Glow, sondern auch eine individuelle Kraft und Festigkeit, die materialbedingt simultane Zerbrechlichkeit suggeriert. Diese glatten Masken verschleiern allzu spezifische Gesichtszüge und Unebenheiten. Gleichzeitig steigern sie die expressiven Kontraste zwischen den homogenen Gesichtern und der von fließenden, deskriptiven Farben bestimmten Umwelt sowohl unserer als auch ihrer Virtualität. Darin können wir den Material- und Referenzfundus der Künstlerin erahnen: Porzellanfiguren und Fotografien aus ihrer persönlichen Sammlung fügen sich zu einer imaginären Collage zusammen, bevor sie sich in einem ihnen artfremden Medium materialisieren.
Wenn wir diesen Frauen tief in die Augen schauen, stellt sich die Erwartung einer flüchtigen Intimität ein, die sich jedoch verflüchtigt, bevor sie überhaupt spürbar wird. Und am Zenit dieser mäandernden Begegnung wird mir bewusst, dass ich Janskás Frauen tatsächlich schon begegnet bin: Sie sind meine Mutter, meine Schwester, meine Freundin, meine Arbeitskollegin, die Frau, die durch die Straßen wandert, das Mädchen, das ich heute an der Bushaltestelle gesehen habe. Sie sind du und ich.
Teresa Kamencek, Wien, 2023
