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Yoshitomo Nara: All my little words Event
Yoshitomo Nara (*1959) zählt weltweit zu den bekanntesten Künstlerinnen und Künstlern seiner Generation. Ab den 1990er-Jahren erlangt er mit seinen „Angry Girls“, stark stilisierten Mädchendarstellungen mit grimmigem Blick, Vampirzähnen oder Messer in der Hand, internationale Aufmerksamkeit. Die Figuren im Kindchenschema, die an die Ästhetik von Comics und Cartoons erinnern, reichen von der rotzig-frechen Göre bis zu naiv und lieblich wirkenden Charakteren. Hinter den auf den ersten Blick naiv oder vielleicht sogar niedlich erscheinenden Wesen versteckt sich eine Punk-Attitüde. Nicht in einem zerstörerischen, aber in einem kritischen Sinn, in einer Weise, die hinterfragt, aufbegehrt und sich nichts gefallen lässt. Es sind starke kleine Persönlichkeiten, die sich der Erwachsenenwelt und irgendwo auch ihrem eigenen Erwachsenwerden widersetzen, die in einer Ehrlichkeit und Unverfälschtheit, wie sie nur Kindern eigen ist, ihre Meinung und ihre Gefühle offenbaren und denen zugestanden wird, eben diese zu haben.
Der Schwerpunkt der Ausstellung, die seit über zehn Jahren die erste große Museumspräsentation des Künstlers in Europa darstellt, liegt auf Naras facettenreichem zeichnerischem Œuvre, das sich über einen Zeitraum von rund 40 Jahren erstreckt und in einer vom Künstler selbst zusammengestellten Hängung gezeigt wird. Die Zeichnungen, die er manchmal fast beiläufig auf Zetteln, Kuverts, Flyern oder Wellpappe umsetzt, lassen den direkten Einfluss von (Rock)Musik und Popkultur erkennen und bringen das gesellschaftspolitische Anliegen des Künstlers zum Ausdruck: Sie verhandeln auf eine leichtfüßige Art soziale Werte, Normen und Ideale. In der Zeichnung manifestiert sich Naras Meisterschaft, der Reichtum eines emotionalen Spektrums, das von Verletzlichkeit über existenziellen Tiefgang bis hin zu Rebellion und Widerspenstigkeit reicht.
Nara wächst im Norden Japans, in der Präfektur Aomori auf. Seine Eltern sind beide berufstätig und auch seine deutlich älteren Brüder häufig außer Haus. So verbringt Nara als klassisches Schlüsselkind viel Zeit alleine, mit seiner zugelaufenen Katze Chako als Spielgefährten und Kompagnon. Irgendwann stößt er im Radio auf den Sender einer nahegelegenen amerikanischen Air Base und lernt dadurch Country- und Rockmusik kennen. Dies ist der Beginn seiner großen Leidenschaft für Musik. Im Alter von acht Jahren kauft er seine erste LP, ein Album der japanischen Band Takeshi Terauchi and The Bunnys, und gibt auch später sein Geld lieber für Schallplatten als für Schulmittagessen oder Lehrbücher aus. Ohne von den englischsprachigen Songs auch nur ein Wort zu verstehen, versucht er sich anhand der Plattencover einen Reim auf deren Inhalt zu machen, beginnt sich Inhalte auszudenken oder diese durch Wortmelodie, Klang und Rhythmus zu erfassen. Diese Liebe zur Musik, dieses tiefe Empfinden beim Hören von Musik, ist bis heute Teil von Naras Leben und Teil seiner Arbeitspraxis. Wenn er abends in sein Atelier geht, dreht er zunächst laut seine Songs auf und beginnt dann ohne einen zuvor gefassten Plan zu arbeiten. Seine Werke, vor allem seine Zeichnungen, sind im Grunde Visualisierungen dessen, was ihm beim Hören durch den Kopf geht, und entstehen aus der Emotion des Moments heraus. Häufig finden sich daher auch Songtitel oder einzelne Textzeilen in seinen Werken wieder, die zu Fragen, Statements oder Lebensweisheiten seiner Protagonistinnen werden.
Neben der Musik spielt die frühe Erfahrung von Einsamkeit eine wesentliche Rolle in Naras Schaffen – eine Erfahrung, die sich für ihn im jungen Erwachsenenalter wiederholt, als er 1988 an die Kunstakademie in Düsseldorf geht, um bei A. R. Penck zu studieren, und die folgenden zwölf Jahre in Deutschland, in der Fremde, verbringt. Hier fühlt er sich oftmals an die Einsamkeit seiner Kindertage erinnert und führt in Düsseldorf Selbstgespräche mit seinem achtjährigen Ich in Aomori. In dieser Zeit in Deutschland, in der Zurückgezogenheit des Ateliers, findet Nara allmählich zu seiner individuellen Ausdrucksweise und zu seinem eigenen künstlerischen Anliegen.
Das kleine Mädchen mit dem großen Kopf nimmt Gestalt an. Es fordert immer mehr Platz und verdrängt zunehmend den Hintergrund. Endlich hat Nara das Gefühl, etwas erschaffen zu haben, das ihm komplett entspricht, das sich aus seinem Innersten heraus offenbart. Die Mädchenfigur wird für ihn zum Hauptmotiv, zu einem universellen Template, das er in unterschiedlichen Ausprägungen und mit unterschiedlichen Attributen umsetzen kann.
Die Ausstellung ist von 10. Mai bis 1. November 2023 in der ALBERTINA MODERN zu sehen.