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Gerd Kroske: Geschichten in Schichten, der Film Vokzal-Bahnhof Brest Event
GERD KROSKE “GESCHICHTEN IN SCHICHTEN, DER FILM VOKZAL-BAHNHOF BREST” D 1994 90´
IBK
Datum | 27.01.2022, 18.00 h - 20.00 h
Ort | Online via Zoom
Vortrag von Gerd Kroske im Rahmen der Ringvorlesung IBK WS 2021/2022 organisiert vom Fachbereich Kunst und Film.
Zoom-Link: https://akbild-ac-at.zoom.us/j/92708317559?pwd=T2N6b0t3Mkk4ZExzUkNOeHhIR3NBQT09
Der Bahnhof Brest ist die Grenzstation zwischen Weissrußland und Polen. Der Ort sah viele Sieger kommen und gehen. Die beklemmende Frage nach dem Sinn aller Opfer und Entbehrungen stellen sich weder die ordensbehangenen sowjetischen Kriegsveteranen an ihrem Feiertag, noch die österreichischen Schlachtfeld – Veteranen, die „bolschewistische Hetze“ gegen den Faschismus beklagen. „Leb wohl, Heimat“ unterschrieb ein Selbstmörder seinen Abschiedsbrief und der Friedhofsemaillierer gibt 20 Jahre Garantie auf das Foto auf dem Kreuz auf seinem Grab.
Das Seminar untersucht Möglichkeiten des Erzählens von Geschichte.
Mein Film Vokzal – Bahnhof Brest war im Jahr 1994 fertiggestellt. Das war 49 Jahre nach dem Kriegsende des Zweiten Weltkrieges. Wie lässt sich heute Geschichte filmisch in 90 Minuten erfassen ohne katalogisierend und inventarisierend beibiegend daherzukommen?
Der Film arbeitet mit zwei gegenläufigen Ebenen von Ort und Zeit. Der Ort ist ein Bahnhof und die Zeit umfasst die Verwerfungen im 20. Jahrhundert. Einige Kriege gingen durch diesen Ort hindurch und das ist den Menschen dort eingeschrieben, wie zu sehen ist.
In Brest ließ sich diese Epoche wie ein Freilegen von Schichtablagerungen erzählen.
Als wir im Minsker Staatsarchiv nach historischen Filmmaterialien zu suchen begannen, fiel beim Sichten auf, dass sich Filmbilder anlässlich von Jahrestagen der Revolution oder Parteitagen der KPdSU stetig durch Neukommentierung umwidmen ließen. Das wirft Fragen auf: Wie sollen wir Archivmaterialien trauen? Oder auch: Wie können wir heute die aktuellen Nachrichtenbilder der Flüchtenden aus dem weißrussischen-polnischen Niemandsland ohne die überkommenen Archivalien lesen?
Es war mehr als eine Anregung, damals Walter Benjamins Über den Begriff der Geschichte* heranzuziehen, denn mir erschien es als der einzig taugliche Zugang, um diese epochalen Verwerfungen im Film erzählbar zu machen. Nichts ist bei diesem Blick aus einer Perspektive, monolithisch und schon gar nicht logisch und folgerichtig. So verhält sich Geschichte nicht. Wie findet sich, wählt man diesen Blick, hierfür eine Filmstruktur?
Fragestellungen im Seminar an den Film werden sein:
Wie lässt Walter Benjamins Text als Zugang für einen filmischen Blick nutzen, der den „historischen Chock“ als Chance begreift?
Wie werden die Archivalien im Film genutzt?
Sind Archivaufnahmen Belege von Geschichtsereignissen oder deren filmische Kommentierung, sind es Auslegungen oder Propagierung von Ideologie?
Lassen sich solche Einschreibungen „remontieren“?
Wie kommen und verschwinden Protagonist*innen im Film?
Quellen zur Vorbereitung:
“Über den Begriff der Geschichte” in Walter Benjamin, Werke und Nachlass, Suhrkamp Verlag, 2010
Vokzal-Bahnhof Brest; Gerd Kroske, OF m. dt. UT, Sichtung bis 27.1.2022 als Link https://vimeo.com/664683375 PW: BB2022
*Als Walter Benjamin, im Sommer 1940 seinen Text Über den Begriff der Geschichte schrieb, gab es in Europa schon beinahe ein Jahr lang Krieg. Benjamin war auf der Flucht in Spanien. Unter dem Decknamen „Unternehmen Barbarossa“ wurde ab Juli 1940 der Deutsch-Sowjetische Angriffskrieg geplant. Dieser Krieg begann am 22. Juni 1941 – fast ein Jahr nach Benjamins Freitod in Port Bou – mit dem Überfall auf die Sowjetunion. Er endete mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945. Der erste Ort, der in der Sowjetunion von der faschistischen Wehrmacht eingenommen wurde, war Brest in Weißrussland. Die dort wütende 45. Infanterie-Division wurde gleich nach dem Anschluss Österreichs 1938 in Linz aufgestellt und war ab dem ersten Kriegstag im Einsatz.