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...das weite Land, woher sie kommt Event
Isa Rosenberger
Hinter dem Knaben aber schreitet lautlos die Nacht einher und breitet den schwarzen Mantel der Vergessenheit über das weite Land, woher er kommt.
Maxim Gorki, Musik der Großstadt
Der zentrale Aspekt von Isa Rosenbergers künstlerischer Praxis ist die Kontextualisierung historischer Ereignisse in unserer Gegenwart, das Nach-Erzählen von Geschichte, das gängige Narrative, wie sie unser Geschichtsbild prägen, erweitert oder in Frage stellt. Häufig richtet sie den Blick auf alternative Lesarten von Geschichte oder vergessene Geschichte(n). (Georgia Holz)
Im Jahr 1934 war auf der Bühne des Volksheim Ottakring in Wien Gertrud Kraus’* Tanzspiel „Die Stadt wartet“** zu sehen, das auf Maxim Gorkis Märchen „Musik der Großstadt“ basierte. Kraus’ Choreografie reflektierte sowohl den Weg eines Jugendlichen in die große Stadt als auch seine Ängste und seine Faszination gegenüber dem Leben in der Metropole. Gertrud Kraus selbst tanzte den Jugendlichen.
„Gesellschaftspolitisch interessiert und durch ihre jüdische Herkunft zunehmend unter Druck, entwickelte sie als eine der wenigen Exponentinnen des Ausdruckstanzes (…) Choreografien, die politisches Engagement zeigten“. (Andrea Amort***)
Es existiert – nach jetzigem Stand – allerdings kein einziges Foto der Aufführung von „Die Stadt wartet“ im Volksheim Ottakring. Das Projekt versteht sich als ein Versuch einer Annäherung an diese Leerstelle und historische Lücke.
Rosenberger kooperiert mit der Künstlerin und Tänzerin Loulou Omer, deren Mutter Zipora Lerman eine Schülerin von Gertrud Kraus in Tel Aviv war.
Das Volksheim Ottakring (heute VHS Ottakring) wurde 1901 gegründet und war vor allem in der Zwischenkriegszeit von großer kultureller und politischer Bedeutung.**** Volkshochschulen waren wichtige Orte für alternative Bildungs- und Wissensvermittlung und spielten bei der Popularisierung von Avantgarde-Kunst und Kultur – das Motto lautete nicht umsonst: „Das Wissen für alle“ – jenseits der bürgerlichen Salons eine zentrale Rolle. Die heutige Volkshochschule (VHS) Ottakring ist mit ihrem breiten Angebot an Kursen und Programmen weiterhin ein Zentrum für die Weiterbildung von Menschen mit unterschiedlichen Qualifikationen und sozialen Hintergründen.
Ausgehend von Kraus’ Tanzspiel „Die Stadt wartet“ untersucht Isa Rosenbergers Projekt, wie die weitgehend vergessene sozialreformerische Geschichte der VHS Ottakring und die damit verknüpfte Geschichte des (politisch engagierten) Ausdruckstanzes in Österreich unter den Vorzeichen der heutigen Zeit ins Gedächtnis gerufen, aktualisiert und kontextualisiert werden können. Ganz im Sinn der interdisziplinären Arbeitsweise von Gertrud Kraus wird Tanz hier als besonderer poetischer Raum verstanden, in dem sich Kunstformen, Zeiten und Bilder vermischen und neue Bezüge und Querverweise herstellen lassen.
Außerdem leitete Rosenberger an der VHS Ottakring einen Workshop mit Jugendlichen, in dem sie Kraus’ Zugänge zur Anwendung bringt.
Neben dem Workshop belegen auch Rosenbergers eingehende Recherchen über Gertrud Kraus in Wien und Tel Aviv eine Spurensuche nach geografischen Bewegungen und der Migration von Gedankengut, über Länder hinweg und entlang gegenläufiger Routen: die Migration des Ausdruckstanzes von Österreich bzw. Mitteleuropa nach Israel oder auch die Migrationsrouten der Schüler_innen im Workshop u.a. vom Nahen Osten nach Österreich.
Die Ausstellung orientiert sich visuell an der Idee der „Bühne“ als Brennpunkt des Politischen und des Sozialen. Das Ausstellungsdisplay zeigt eine Abfolge von „Bühnen“, auf denen die verschiedenen Komponenten des Projekts ins Spiel gebracht werden: Fotos, Videos, Archivmaterialien, Workshopergebnisse, Skizzen und Performances.