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Aurelia Gratzer: LS 16:02 Event

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Freitag
22. März
2019
ab
19:00
Uhr
Bildende Kunst Eröffnung

Notizen zu Raumfigurationen in der Malerei von Aurelia Gratzer
„Nichts ist im Verstand, was nicht zuvor in der Wahrnehmung wäre.“ (Thomas von Aquin)

Die Malerei von Aurelia Gratzer scheint auf den ersten Blick ein geschlossenes System von Flächen, Linien und Strukturen zu sein, wirkt dicht, kontrastreich, fast industriell. Manchmal blitzt ein Akzent von leuchtender Farbe in die Tiefe, sticht eine metallisch lichte Fläche hervor. Auch feinste Linienkonstrukte erleichtern Flächen, Fluchtpunkte leiten uns perfide in die Irre. Flächen in ihrer Beziehung zueinander könnten Räume sein. Die Betrachtenden aber entwickeln in der Wahrnehmung Bezugspunkte zur Realität, Erinnerungen an Raumkonstellationen, Objekte im Raum. Aber jeder Drang zur Vervollständigung des Angelegten im Kopf der Betrachtenden wird von der Malerin wiederum torpediert, das Kompositionsgefüge, scheinbar so klar, wird verunklärt, um es für die Malerei zu klären, um das Sehen zu leiten, es verharren zu lassen und um der Irritation Raum zu geben. Und plötzlich ist Tiefe da. Die Balance von Erinnerungen an Raum, Architektur und Objekt wird trügerisch gestört. Dies scheint eine Balustrade, hier führt eine Wand nach hinten, ein Geländer, ein Gitter, eine Mauer, was kommt nach vorn, was führt nach hinten, wo bleibt der verbleibende Raum, kann man sich da überhaupt aufhalten – nein, es sind Raumkonstruktionen, keine Räume für Menschen. Denn es ist gar keine Tiefe da. Es ist nur Malerei.

Bei der Betrachtung von Malerei, ja von Kunstobjekten im Allgemeinen, ist das sich selbst Zeit geben eine Grundvoraussetzung zu eigener Erkenntnisleistung. Also auch hier. Was wir schnell sehen, ist, dass es dieser Künstlerin nicht um eine subjektive Form von Entäußerung geht. Dass nicht der Moment zählt, dass Farbe nicht Emotion schreit, dass Handschrift nicht Gestus heißt. Was wir also sehen, ist, dass die Malerei alles andere als schnell entsteht. Diese präzisen Malereikonstrukte und Farbkompositionen erfordern eine minutiöse Planung, einen entschleunigten Umgang mit und präzisen Einsatz der malerischen Mittel. Alles im Bild, die Räume, die Linien, die Flächen und auch die Farbwahl werden überlegt eingesetzt, um das Bild als komplexes System zusammenzufügen, zu bauen. Und das sieht man.

Gebautes dient auch über den Umweg der Gebrauchsfotografie als Ausgangspunkt für diese Malerei. Die Künstlerin sammelt Anzeigenfotos aus Zeitungen, meist aus dem Immobilienteil, schlechte Fotos, manchmal wohl auch bearbeitet, die bei längerer Betrachtung ihre Fehler offenbaren, zum Beispiel mit mehreren Fluchtpunkten arbeiten oder Perspektiven erzeugen, fern vom realen Raum. Diese konstruierte, gewissermaßen auch dekonstruierte Realität wird von Aurelia Gratzer zur Gänze beziehungsweise in Ausschnitten zur Vorlage für ihre Malerei erhoben – Raumkonstellationen, die schon medial gefilterte Reflexionen von Realität sind und die durch die Übersetzung in Malerei nochmals gefiltert werden.

Die Linie nimmt Raum ein, ist immer auch eine gemalte Fläche, so Aurelia Gratzer. So werden in ihren Bildkonstruktionen grafische zu malerischen Elementen, so werden Liniengeflechte, Netze und Gitter als Binnenstrukturen der Flächen zu Farbwerten, die ebenso wie die Linien, Farben und Flächen dazu dienen, Raumwirkung zu erzeugen, Tiefen zu imaginieren, wie in einem Irrgarten der Perspektive und der assoziierten Raumerinnerungen.

Wie viel Sicherheit evoziert ein erster Blick auf diese Malerei – wie oft, wenn wir klar gesetzte Flächen und Linien, kombiniert mit glatten Farbflächen oder Linienstrukturen sehen, wenn alles rational erscheint, fast entemotionalisiert, neutral. Aber, und da kommen wir wieder zum wesentlichen Faktor Zeit, bei längerer Betrachtung wird uns der gesicherte Boden weggezogen, wird das eben noch Klare unsicher – wo führen die Linien hin, die Flächen sind, kein realer Raum will sich aus Elementen und Erinnerungen zusammenfügen, sondern die heterogene diverse malerische Konstruktion wird zum Raum für Malerei, einem imaginären Raum, den nur das gemalte Bild erzeugen kann, der nicht illusioniert, unsere Vorstellungen und Erinnerungen nicht einzulösen versucht oder zusammenbringt, einem Raum, der keine Harmonie der malerischen Elemente zaubern will, sondern das Konstruierte zeigt und die Vielschichtigkeit der Möglichkeiten etwas wahrzunehmen in großer malerischer Dichte offenlegt.

Diese Verdichtungen von Konstruktion und Malerei haben sich bei Aurelia Gratzer in den letzten Jahren immer mehr von erinnerten oder vorgefundenen Bezugssystemen entfernt, geklärt. Waren Interieurs oder Räume mit Objekten und Möbeln in den älteren Bildern noch durch unsere dafür gepolte Wahrnehmung leicht rekonstruierbar, so wirken diese Konstruktionen jetzt viel verschlüsselter, offener, sind immer mehr zu immanent malerischen Systemen geworden. Manchmal erzeugen sie möglicherweise durch die Irritation, dass die Dichte der Malerei immer Fläche ist und gar keine Tiefe ermöglicht, etwas fast Beklemmendes.

Überhaupt ist dieses komplexe Spiel mit der Fläche omnipräsent in der Malerei von Aurelia Gratzer. Flächen, die nie zur Tiefe werden können, so sehr es die gesetzten Farbwerte, die Sättigungen der Farbe und die Farbkontraste auch zu forcieren vorgeben – alles bleibt immer in der Fläche, alles bleibt immer Malerei.

Die Betrachtung dieser Malerei kann zu einem lustvollen Spiel mit Raummöglichkeiten und Unmöglichkeiten werden, die, von Aurelia Gratzer vorgegeben oder von unserer Wahrnehmung ergänzt, die Möglichkeiten des malerischen Raums erweitern.
Andreas Hoffer

 
Archiv-Screenshot:

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