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Ulrike Königshofer. Jeder Blick hat einen Standpunkt Event
Wenn wir in die Welt schauen, gehen wir davon aus, dass das Erblickte nicht nur weiter vorhanden ist, wenn wir gerade nicht hinsehen, sondern auch ein Aussehen hat - unabhängig von unserem Schauen. ?So sehe ich etwa das Haus gegenüber unter einem bestimmten Gesichtswinkel, anders sähe man es vom rechten Ufer der Seine, anders wieder von innen, und noch anders wieder von einem Flugzeug aus; das Haus selbst ist nicht eine dieser Erscheinungen, […] es ist das Haus, von nirgendwoher gesehen?, so der französische Philosoph Maurice Merleau-Ponty.
Eine objektive und neutrale Sicht wäre also eine Betrachtung ohne Betrachtung. Eine solche läuft ins Leere, weil ihr genau das fehlt, was das Gesehene ausmacht. Ein Schatten, der nicht dunkel ist, ist eben keiner. Eine Nacht, hell wie der Tag, wird nicht als solche empfunden, weil ihr das Charakteristikum der Schwärze fehlt. Die Vorstellung von Objektivität klammert den Betrachter aus. Um sich ein Bild von etwas zu machen, braucht es aber ein Auge, das schaut - und dieses ist kein abstraktes Ding. Und es braucht den Verstand des Betrachters, der interpretiert, was er sieht. Er schließt von einem Bild, das er vor Augen hat, auf einen Gegenstand, der da sein muss.
So sieht man überall auf der Erde dieselbe Sonne. Der Horizont aber ist ein anderer. Durch das Verschieben der Perspektive kann ein und dasselbe Ereignis völlig unterschiedlich erscheinen. Wir sehen, deuten und verstehen die Welt immer aus einem speziellen Blickwinkel. Entsprechend unterschiedlich können die Vorstellungen ausfallen, die wir davon haben, ohne zwangsweise falsch zu sein. Vom eigenen Standpunkt aus mag es undenkbar erscheinen, eine andere Sicht einzunehmen. Dies heißt aber nicht, dass das nicht möglich wäre - das wurde spätestens zu einer Zeit klar, als die Sonne aufhörte, sich um die Erde zu drehen.