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Sven Johne, Anomalien des frühen 21. Jahrhunderts. Einige Fallbeispiele Event
Eröffnung
Donnerstag, 21. Mai, 18.30 Uhr
Eintritt frei
?Jeden Morgen ein Lächeln? fällt schwer angesichts des Global Wealth Report der Credit Suisse, der angibt, dass 1% der Weltbevölkerung 48% des globalen Reichtums in ihren Händen hält. Auch mit dem Oxfam-Armutsbericht, der prognostiziert, dass im kommenden Jahr die 1% der Reichsten mehr als die 99% der Anderen besitzen, wird es nicht sonniger. Die Beschleunigung der Ungleichheit in der Vermögensverteilung schlägt sich nicht nur in diesen frappierenden Zahlen nieder, die die Zunahme der ?Superreichen? illustrieren, sondern findet auch in der Mitte der Gesellschaft statt. Nichts scheint mehr sicher, der sozialökonomische Status des Einzelnen ist fragil.
Diese Ungleichheit ist Folie für die von Sven Johne entwickelte Arbeit ?Anomalien des frühen 21. Jahrhunderts?. Seine ?Fallbeispiele? sind Ausdruck gesellschaftlicher Fragmentierung. Mit seinen reportageartigen Berichten gibt er Einblicke in die Isolation von gesellschaftlichen Absteigern, Umsteigern und Aussteigern, aber auch in die Lebensentwürfe ihrer Aufsteiger. Ganz gezielt gibt Sven Johne den Anspruch der Nachweislichkeit seiner Geschichten auf. Vielmehr speisen sich seine ?Fallbeispiele? aus Zitaten, Parodien und Anspielungen sowie aus frei Erfundenem, mit denen sowohl die Biografien von Gewinnern wie auch die von Verweigerern, Aktivisten, Aufsässigen und die von den gänzlich Unfreien – ob arbeitslos, obdachlos oder arm – zu je genau diesem unausweichlichen Punkt zuzulaufen scheinen, den Johne in den ?Anomalien? aufnimmt. Viele seiner Geschichten erscheinen vollkommen absurd, keine jedoch unglaubhaft. Ihr Aberwitz führt direkt in die irgendwie auch stimulierende Abgründigkeit der Gegenwart.
Offen bleibt, inwieweit das faktische Auseinanderdriften der Gesellschaft einem erweiterten Möglichkeitsraum der Postmoderne geschuldet ist, die durch die Erosion einengender Werte und Moralvorstellungen wie durch zunehmende ?Individualisierung? dem Einzelnen neue Optionen ermöglicht – oder aber ob sich unter dem Druck kalter neoliberaler Durchkapitalisierung der Zwangscharakter des ?Sich-neu-Erfinden-und-Abfinden-Müssens? durchsetzt
Mit den ?Fallbeispielen? aus den ?Anomalien des frühen 21. Jahrhunderts? fügt Sven Johne in rund 70 Berichten und 90 dazugehörenden Porträtfotografien (ohne dass diese unmittelbar eindeutig zuzuordnen sind) die ?Fragmentierten? wieder zusammen. Je nach Lesart erinnern sie an den ?Mitarbeiter des Monats?, an die ?Straße der Besten? oder schlicht an Fahndungsplakate. Eine neue Form der Gesellschaftlichkeit ergibt sich damit freilich nicht. Vielmehr reflektiert dieses Projekt mit seiner düsteren Komik die Folgeerscheinungen eines Gegenwartskapitalismus, der sich als ?vernünftig?, ?rational? und ?alternativlos? beschreibt, dem aber zusehends das ?Gemeinwohl? abhandenkommt. Maren Lübbke-Tidow