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cubiCZmus! - Die Dekonstruktion der Moderne in Prag Event
Als Beitrag zu den 2009 stattfindenden grenzüberschreitenden Kulturprojekten zwischen Tschechien und Österreich zeigt das WAGNER:WERK Museum Postsparkasse die Ausstellung cubiCZmus! Die Dekonstruktion der Moderne in Prag. Die Ausstellung, die von 30. Juni bis 29. August 2009 im Großen Kassensaal bei freiem Eintritt zu sehen ist, bietet einen Überblick über kubistische Architektur, Kunsthandwerk und Design – mithin jene Bereiche, die den tschechischen Kubismus im europäischen Kontext zu einer der eigenständigsten künstlerischen Stilentwicklungen macht.
Für die Präsentation gibt es wohl keinen geeigneteren Ausstellungsort als Otto Wagers Postsparkasse in Wien. Hier findet die frühe Moderne des 20. Jahrhunderts mit allen ihren Überlegungen einer zeitgemäßen, der Funktion verpflichteten Architektur ihre Vollendung. Otto Wagner hat mit diesem Schlüsselbau alle seine theoretischen Überlegungen in gebaute Architektur und gestaltetes Interieur umgesetzt. Die am Ausstellungsort stattfindende Konfrontation der Wagnerschen Moderne mit dem darauf reagierenden tschechischen Kubismus visualisiert These und Antithese in der Architektur des beginnenden 20. Jahrhunderts.
In Tschechien war im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts das Architekturkonzept Wagners synonym mit den architektonischen Bestrebungen der Moderne, zumal der Wagner-Schüler Jan Kotĕra als Professor an der Prager Kunstakademie und Gründer der Architekturklasse großen Einfluss auf die nachfolgende Architektengeneration ausübte. In seinem Atelier arbeitete 1908/09 neben Josef Gocár auch der Begründer des tschechischen Kubismus, Pavel Janák.
Mit seiner Abhandlung “Von der modernen Architektur zur Architektur” forderte Janák eine neue plastische Gestaltung, die es seiner Meinung nach in der modernen Architektur à la Wagner nicht gab, und wollte durch die Überwindung der asketisch-moralisierenden Moderne den Weg frei machen für die Architektur schlechthin – einer idealen, einzig und allein gültigen Architektur, die der volle Entfaltung der reinen zweckfreien Kunst entspricht: “Wir wollen nicht Zweckmäßigkeit, wir wollen nicht die Funktionen der statischen Kräfte äußerlich sichtbar machen, wir wollen nicht Echtheit des Materials unter jeder Bedingung”. (Dabei ignoriert er allerdings möglicherweise bewusst, dass Wagners Überlegungen primär darauf abzielen, die immer stärker von reinen Technikern besetzten Gebiete der Architektur für den künstlerisch denkenden Architekten zurückzuerobern.)
Der Begründer des tschechischen Kubismus Pavel Janák
Pavel Janák absolvierte ab 1899 sein Studium an der Tschechischen Technischen Hochschule in Prag bei Prof. J. Schulz. 1906 ging er nach Wien, wo er bei Otto Wagner an der Akademie der bildenden Künste studierte. 1908 kehrte er nach Prag zurück, wird Mitarbeiter im Architekturbüro von Jan Kotera und trat dem Künstlerverein Mánes bei. Im selben Jahr war er an der Gründung der Künstlergenossenschaft Artĕl beteiligt. Als Vorbild dienten den Initiatoren die Wiener Werkstätte, deren Arbeiten Janák bereits von seinem Wienaufenthalt her bekannt waren. In stilistischer Hinsicht jedoch strebte die Gruppe eine Überwindung des Wiener Einflusses an und versuchte früh, einen eigenen, spezifisch tschechischen Weg zu gehen.
Der französische Kubismus in der bildenden Kunst bot hierzu eine Fülle neuer Möglichkeiten: Maler wie Picasso, Braque oder Derain zerlegten auf ihren Bildern Gegenstände in kristalline dreidimensionale Formen, splitterten sie so stark auf, dass die Gegenständlichkeit gerade noch gewahrt blieb. Auf dem zweidimensionalen Bildträger entstand ein ins Malerische übersetztes Relief, aufgebaut aus einer Vielzahl von eckigen, kantigen, vor allem aber fragmentierter Detailformen.
Zusammen mit den Architekten Josef Gočár, Vlastislav Hofmann und Josef Chochol sowie weiteren Kunsthandwerkern entwickelte Pavel Janák einen kubistischen Formenkanon für Kunsthandwerk und Architektur. “Gleichlaufend mit der Malerei, welche durch die Bewegung der Achsen, durch die Änderung des Standpunkts … zu einer neuen Auffassung des Raumes auf der Fläche gelangte, verwendet auch die Architektur die faktische Bewegung des Stoffes …in eine ideale, an die Oberfläche gedrängte Bewegung.” (Josef Gočár, Pavel Janák, František Kysela: Čechische Bestrebungen um ein modernes Interieur, Prag 1915)
Nach Paris wurde Prag ab 1909 zum zweitwichtigsten Zentrum des kubistischen Stils in Europa. Es entstanden wegweisende kubistische Bauten: Josef Gočár “Haus zur Schwarzen Muttergottes” in der Celetná-Gasse, Chochols Villa Kovařic auf dem Vyšehrad, ein Zinshaus in der Neklanová ulica, eine Säule mit Laterne auf dem Jungmann-Platz vom Architekten Emil Králiček, Gočárs Einfamilienhaus in Libodřice, Janáks Einfamilienhaus und ein umgebautes Barockhaus in Pelhřimov.
Der tschechische Kubismus in der angewandten Kunst
Die kubistischen Architekten wollten ein Gesamtkunstwerk aus Architektur, Interieur und Möbeln und lehnten die Priorität der Funktionalität und Zweckmäßigkeit ab. Ihr Ziel war eine neue Form, die ihren theoretischen und philosophischen Ausgangspositionen entsprach. Die Möbel zerlegten sie in Bauelemente, sie brachen die Flächen zu rechten Winkeln, sie entwarfen Formen, die der Statik und Funktion widersprachen. Die übliche Tischlertechnik reichte für die komplizierten Entwürfe nicht aus, es war notwendig, die schiefen und abgeschrägten Teile mit verschiedenen Versteifungen, die das Gewicht der ohnehin voluminösen Stücke erhöhten, zu befestigen. Hierher gehört die Garnitur Janáks für das Herrenzimmer der Familie Borovička (1911–1912). Bestandteile dieser Garnitur sind Janáks “Ohrensessel” ganz aus Holz mit Trapezsitz, geknickten Beinen und dreieckigen Armlehnen, die zu einer der Ikonen des tschechischen Kubismus wurden.
Janák war äußerst produktiv – seine für den Artĕl entworfene Keramik steht als pars pro toto für den Begriff “Kubistische Keramik”. Er entwarf Vasen und Keramikdosen, Leuchter, Kaffee- und Teeservices oder metallene Gebrauchsgegenstände. An diesen Entwürfen bewies er gewissermaßen im kleinen Maßstab die Gültigkeit und Umsetzbarkeit der kubistischen Theorien von der Dynamisierung der Form und des Durchdringens geometrischer Körper. “Wenn die Architektur plastisch gewisse große Komplexe und ein kompliziertes Aufeinandertreffen von Kräften zum Ausdruck bringt, bietet eine Schale oder eine Kanne die Gelegenheit einfacher dramatischer Situationen, Aktionen und Reichweiten, … welche durchwegs die Möglichkeit geben, unsere kubistische Ansicht von der Materie und dem Umfang der Materie zu verwirklichen.” Prototyp des kubistischen Artefakts wurde zweifellos die Prismendose aus weißlichem Steingut, die an aus Papier gefaltete Origami erinnert und als Dekor schwarze Linien aufweist, die die Kanten der dreieckigen Polyeder betonen. Die verschiedenen Ausführungen seiner Vasen, Kaffeegarnituren, zylindrischen, kubischen und sechsseitigen Dosen im farbigen Akkord Weiß (Hintergrund), Schwarz (als Linie oder Fläche zur Betonung von Form oder Kanten), Braunrot oder Gold, bilden durch die große Formvielfältigkeit ein homogenes und ästhetisch wirksames Ganzes. Vom Typ her wiederholen sie, ebenso wie die kubistischen Möbel allgemein, traditionelle Formen, die des Dekors entledigt und auf die Form abstrahiert sind.
Die Kubisten beziehen natürlich auch die Gebrauchsgrafik, also die Ausstattung von Büchern, Buchillustrationen, Werbeplakate und künstlerische Plakatkunst, in ihre Theorien ein. Bildsujets werden in eine Kombination kristalliner und geometrischer Körper zerlegt, denen sich die Textinformation unterordnet, ohne den Informationsgehalt des Plakates zu verringern.
Der tschechische Kubismus nahm eine Reihe späterer Strömungen vorweg und verhalf einem im Umbruch befindlichen Staat zu erstärkter kultureller Identität. “Die schöpferische Tat der tschechischen Kubisten in einer so frühen Etappe des 20. Jahrhunderts war eigentlich eine experimentelle Geste, die eine Reihe anderer avantgardistischer Strömungen antizipierte. Sie spielte sich in einem geschlossenen raumzeitlichen Umkreis ab, in der ausgeprägten gesellschaftlichen und kulturellen Situation eines kleinen Volkes, in bescheidenen Bedingungen ohne breites Publikum, aber mit einer solchen Intensität und Überzeugungskraft, daß sie weit in die Zukunft, bis in die Gegenwart reichen konnte.” (Milena Lamarová).