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Michael Glawogger Event
21. März bis 29. April 2024
Do, 21.03.2024 20:30
Contact High
2009, Michael Glawogger
Filmdauer: 101 min
Davor: Filme von Bruce Baillie und Michael Glawogger
In Anwesenheit von Michael Ostrowski / Freier Eintritt für Fördernde Mitglieder
“Das Kino ist keine Schulklasse, also gibt es hier nichts zu lernen. Aber viel zu sehen”, lautete einer der typischen Aphorismen von Michael Glawogger (1959–2014), einem Filmemacher, der dem Filmmuseum auch als enger persönlicher Freund nahestand – nicht nur, weil seine Gattin Andrea Glawogger langjährige Geschäftsführerin des Filmmuseums war. Der gebürtige Grazer hatte die Gabe, außergewöhnliche Filme zu machen, und er konnte großartig über sie reden – ebenso wie über die Filme von anderen: Seine aufschlussreiche Art, dabei Ideen und Eindrücke plastisch und lebendig werden zu lassen, statt sich auf akademische Abstraktionen oder vorgefertigte Dogmen zu berufen, erzählt auch viel über das besondere kinematografische Talent Glawoggers, das wir zu seinem zehnten Todestag mit einer umfassenden Retrospektive würdigen.
Die englischsprachige Phrase thinking out of the box scheint die ideale Beschreibung für diese Besonderheit: Glawoggers Fähigkeit, stets über den Tellerrand zu schauen, ließ ihn zu einer Ausnahmeerscheinung unter den Filmemacher*innen werden, die eine Schlüsselrolle bei der internationalen Renaissance des österreichischen Kinos zur Jahrtausendwende spielten. Seine gewitzte und gewinnende Persönlichkeit drückte sich auch in seinem Schaffen aus, sowohl filmisch wie auch literarisch (als Autor verblüffte er ebenfalls mit unkonventionellen Zugängen und fantastischen Ideen), so wie in der bewussten Ironie des obigen Zitats: Denn natürlich gibt es etwas zu lernen, wo es viel zu sehen gibt, aber nicht im Sinne von schnöder Didaktik, sondern einer Erkenntnis. Die Lust am Schauen und Entdecken war eine entscheidende Triebfeder für Glawogger, dabei hob sich seine charakteristische Verbindung von Humor und Tiefgang deutlich ab vom “depressiven Realismus”, dessen Erfolg auch ein Klischeebild des heimischen Filmschaffens heraufbeschworen hatte.
Von Glawogger wurde es in seinen Spielfilmen lustvoll auf den Kopf gestellt, sei es in Komödien wie Nacktschnecken (2004), wo hinter dem ausgelassenen Lustspiel eine existenzielle Melancholie spürbar bleibt, oder in Dramen wie der eigenwilligen Bestseller-Adaption Das Vaterspiel (2009) mit seinem ungewöhnlichen modernistischen Zug. Gleichzeitig schienen seine weltweit gefeierten Globetrotter-Dokumentationen wie Megacities (1998), Workingman’s Death (2006) und Whores’ Glory (2011) zwar in eine zugkräftige Schiene von Weltkino made in Austria zu passen, aber Glawoggers Blicklust und Entdeckungsfreude gaben ihnen eine unverwechselbare Note: Die unerschöpfliche Neugier, die sein künstlerisches Schaffen antrieb, stand quer zu den Anforderungen einer Kultur und eines Marktes, die auf einfache (und leere) Zuordnungen setzte. So wurde diese inoffizielle Dokumentarfilm-Trilogie gern unter “Globalisierung” verschlagwortet, einem Begriff, den Glawogger ablehnte (und persönlich aus allen Synopsen, etwa in den Presseheften zu seinen Filmen, strich): “Es ist eines dieser Wörter, die zur Projektionsfläche geworden sind: Es wird benutzt, wie man es gerade braucht, dabei ist es überhaupt kein eindeutiger Begriff.”
Dass Glawoggers freigeistiger Zugang Widerstand gerade von orthodoxer Seite provozierte, manifestierte sich insofern an diesem Werkstrang besonders deutlich: Wie konnten die “12 Geschichten vom Überleben” (so der Untertitel) in Megacities es wagen, auch Armut in so sinnlichen und schönen Bildern einzufangen? Glawoggers Antwort war ein Plato-Zitat: “Schönheit ist der Glanz der Wahrheit.” Workingman’s Death nahm das Verschwinden von körperlicher Schwerstarbeit in der westlichen Zivilisation zum Anlass für einen ebenso packend stilisierten Bericht über deren Gegenwart an den Rändern der Welt: Nicht mit sentimentaler Nostalgie, sondern einem ambivalenten Ton, der an die Rolling-Stones-Hymne “Salt of the Earth” mit ihrer Mischung aus geschichtsbewusster Grabrede und klarsichtigem Zynismus gemahnte (sie hätte am Soundtrack erklingen sollen, aber die Musikrechte waren unbezahlbar). Das unvoreingenommene, damit scheinbar politisch unkorrekte Porträt von Sexarbeit in Whores’ Glory vermittelte in der Gegenüberstellung verschiedener Bordellzonen in Thailand, Bangladesch und Mexiko nebenbei viel über die zeitgenössische Natur von systemischer Ausbeutung unter verschiedenen ökonomischen und sozialen Bedingungen. Man konnte (und kann) darin viel über das sanktionierte Funktionieren von Geld- und Geschlechtsverkehr – und damit auch über “Globalisierung” – sehen. Aber im Kern war es ein Film über Liebe und ihre Rituale und darin ein quintessenzielles Glawogger-Projekt.
Dass sich Glawogger mühelos über Schranken hinwegsetzte, zeichnete sich dabei schon in seinem Studenten-Frühwerk ab, das sich in dieser Retrospektive entdecken lässt: In den 1980ern besuchte er zuerst das San Francisco Art Institute und dann die Wiener Filmakademie, wo er in kurzen Fingerübungen (darunter brillante Miniaturen wie der Dreiminüter Haiku von 1987) zwischen Experiment, Dokument und Fiktion wechselte. Der damals noch eher unübliche Grenzgang zwischen Spielfilm und dokumentarischen Formen führte vom ersten, gemeinsam mit dem Studienkollegen Ulrich Seidl realisierten Langfilm Krieg in Wien (1989) über das Solodebüt mit der schwarzen Wiener Komödie Die Ameisenstraße (1995) zur unklassifizierbaren Kollaborations-Kompilation Kino im Kopf (1996), deren Titel auch ein perfektes Leitbild für das Glawogger-Schaffen lieferte. In dieser pseudodokumentarischen Zusammenstellung von Filmen, die andere sich “erträumten”, spiegeln sich zugleich die vielfältigen Interessen Glawoggers, der sich nicht nur für alle möglichen Filmgattungen begeisterte, sondern auch für viele andere Bereiche – von Musik über Literatur bis hin zu Fußball, was sich in einem der besten Sportfilme überhaupt niederschlug. In Frankreich, wir kommen! (1999) folgte Glawogger dem Fortschritt des österreichischen Nationalteams bei der Fußball-WM: Das Resultat führt also nicht sehr weit ins Turnier, aber dafür umso tiefer in die Seelen von Fußballfans. Im Aufeinandertreffen von echter Leidenschaft und Absurdität rund um den Fußballzirkus entsteht ein Gewebe, das charakteristisch glawoggerianisch ist: populäres Kino aus dem Geiste nonkonformistischen Denkens.
In diesem Sinne ist auch die Collection on Screen (siehe S. 24) zu verstehen, die wir der Retrospektive zur Seite stellen und die eine Auswahl von Glawogger-Lieblingsfilmen präsentiert, die sich vom Avantgarde-Meisterwerk bis zur Bud-Spencer-Terence-Hill-Komödie quer durch alle Genres und Tonlagen zieht, erweitert um einige Filme, die er mit auf den Weg gebracht hat. Auch hier war das oberste Ziel, die erstaunliche Spannbreite seiner Begeisterungsfähigkeit zu vermitteln und sich von keinen Regeln einschränken zu lassen. Der Abwechslungsreichtum soll mit dem von Glawoggers eigenem Werk korrespondieren, das in den 2000ern zusehends in alle möglichen Richtungen expandierte, bis hin zum famosen Fernsehkrimi Die Frau mit einem Schuh (2014).
In der mit seinem Nacktschnecken-Koautor und Hauptdarsteller Michael Ostrowski ausgeheckten “Fortsetzung” Contact High (2009) kommen die euphorische Assoziationsfreude und verspielte Erfindungslust von Glawoggers Geist vielleicht am klarsten zum Ausdruck: natürlich ausgerechnet in einem Film, der die (übertragbare) Benebelung durch Drogen schon im Titel führt und dessen kunterbuntes Mosaik auf den ersten Blick wie ein Tribut an den Nonsens von anarchischen Kinofarcen wirkt, die Glawogger so liebte. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich auch eine Präzisionsarbeit im surrealistisch wirkenden Arrangement von Mustern und Verweisen, die den Klassikern des Strukturalismus alle Ehre machen würde – nur eben lustvoll durcheinandergewirbelt.
Glawogger erzählte oft, dass ihn die Vorgaben des Themas und der Filmproduktion auf seinen Weltreisen beim Dreh eingeschränkt hatten, sodass er gerade die spannendsten Dinge nicht verfolgen konnte. Sein radikales Projekt Film ohne Namen sollte ihm endlich ermöglichen, der Intuition ohne Vorgaben zu folgen. Nach jahrelangem Kampf hatte er der Filmförderung die Unterstützung dieses unerhörten Unternehmens abgerungen und machte sich Ende 2013 auf eine Weltreise mit Kamera- und Tonmann. Nach viereinhalb Monaten erlag er dabei in Liberia der Malaria. Vielleicht liegt ein seltsamer Trost darin, dass Glawogger starb, wie er lebte – unermüdlich auf der Suche nach neuen Erfahrungen. Seine langjährige Cutterin Monika Willi formte aus dem gedrehten Material schließlich posthum den Film Untitled (2017). Willi wird wie viele andere Wegbegleiter*innen und Kollaborateur*innen Michael Glawoggers im Zuge der Retrospektive im Filmmuseum zu Gast sein, um über die Zusammenarbeit mit ihm zu sprechen. (Christoph Huber)
Zahlreiche Gäste werden erwartet: Michael Ostrowski (21. März), Peter Wirthensohn (23. März), Ortrun Bauer, Andrea Wagner und Eva Mayer-Dopplinger (11., 20. und 22. April), Alexander Horwath, Andrea Glawogger, Ortrun Bauer und Danny Krausz (11. April), Michael Sturminger (17. April), Veronika Franz (21. April), Monika Willi (22. April), Barbara Albert (25. April), Helmut Köpping (27. April), Tommy Pridnig (29. April)