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Bauvisite 242: Vienna International Busterminal Event
Der internationale Busbahnhof in Wien Erdberg, einer der urbansten Orte von Wien, ist an einem auf den ersten Blick äußerst unattraktiven Standort angesiedelt – direkt unter einer Autobahnbrücke. Der Grund liegt darin, dass bis vor kurzem trans-nationale Busreisen in Wien vorrangig mit einkommens-schwachen Migrant*innen aus Südosteuropa assoziiert wurden: das begann mit der Anwerbung von Gastarbeiter*innen in Jugoslawien und in der Türkei in den 1960er Jahren und erfuhr einen Höhepunkt im Jahr 1989, als nach dem Fall des Eisernen Vorhangens kurzfristig wilde Busparkplätze mit kleinen Schwarzmärkten für Ungarn, Slowaken und Polen in Wien entstanden. Die ‚regulären’ Busbahnhöfe waren neben bestehenden Eisenbahn-Bahnhöfen situiert, dessen Infrastruktur sie mitnutzten. Gleichzeitig mit der Aufwertung dieser Bahnhofsareale als potentielle Immobilien-Developments wurden diese Busbahnhöfe dann jedoch von ihren bisherigen Standorten weg-gentrifiziert.
Der internationale Busbahnhof ist Symbol für die Normalität multi-lokalen Existenzen, des kontinuierlichen Unterwegs Seins und des sich Einrichtens im Transit. Dabei zählen für alle, die kein eigenes Fahrzeug besitzen, Kleinbusse und der transnationale Linienbusverkehr zu den bevorzugten Verkehrsmitteln, in denen sich zudem auch Güter in beträchtlichem Ausmaß mitführen lassen. Am aktuellen Standort treffen zu den Stoßzeiten unzählige mobile Akteur*innen mit Mobilitäts- und Migrations-Erfahrungen aufeinander, die sich auch austauschen und in deren individuellen Geschichten sich auch die Transformationen in den Regionen entlang ihrer Routen widerspiegeln. Insbesondere die Busfahrer der internationalen Linien sind wichtige Akteure des Wissenstransfers, denn sie stammen aus der Nähe der Orte, die sie anfahren, kennen viele ihrer Stammkund*innen seit Jahren, und wissen was sich unter welchen Bedingungen über welche Grenzen transportieren lässt. Auch die Fahrer des großen privaten österreichischen Busunternehmens Blaguss, das diesen Bahnhof betreibt, haben in der Regel Migrationshintergrund, sind selbst aus den Kriegshandlungen und ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien oder vor deren wirtschaftlichen Folgen geflohen, oder sind die Kinder ehemaliger Gastarbeiter oder Flüchtlinge.
Die Verkehrs-Spinne, das Netzwerk der transnationalen Bus-Routen, die von hier ausgehen oder hier zusammenlaufen stellen die Verbindungen von Ziel- und Quell-Regionen von Tourist*innen, ehemaligen Gastarbeiter*innen und ihrer Angehörigen, Pendler*innen und Arbeitsmigrant*innen dar. Der meist frequentierte Strang führt über die A4 Ostautobahn nach Ungarn und entweder in Richtung Rumänien oder über Serbien weiter nach Bosnien und Bulgarien. Natürlich finden sich in diesen Bussen auch Personen, die von der Mehrheitsbevölkerung in Wien als unerwünscht angesehen werden: Bettler*innen, Prostituierte, Diebe und Personen ohne gültige Papiere. Mehrheitlich sind mit den Bussen jedoch jene Dienstleister*innen unterwegs, die wir als „soziale Infrastruktur“ verstehen sollten, die mit ihren bescheiden entlohnten Arbeitsleistungen den von einer überdurchschnittlichen Lebensqualität gekennzeichneten Alltag des Mittelstandes in Wien erst ermöglichen.
Knoten entlang der transnationalen Verkehrs-Korridore wie der Busbahnhof in Erdberg repräsentieren polyrhythmische Ensembles aus statischen Architekturarchipelen, mobilen Objekten aller Art und Individuen – „Aktanten und Akteuren“ in Bruno Latours Worten –, die abhängig von den wechselnden Rhythmen des Verkehrsflusses zu unterschiedlichen Nutzungsdichten anwachsen und schrumpfen. Sie sind keine singulären Entitäten, die sich nicht auf ein Gebäude oder einen Ort eingrenzen lassen, sie sind Bestandteile eines Netzwerkes aus mehreren Knoten, die während der Tour eines Individuums oder Objektes angefahren werden: ein Busbahnhof nicht ohne seine Partnerterminals denkbar und auch nicht ohne die Raststationen, an denen Busfahrer unterwegs anhalten und auf andere Akteure und Fahrzeuge mit unterschiedlichen Mobilitätsmotiven und -rhythmen treffen. Mitunter verwandeln sich dabei anthropologische Nicht-Orte (an denen bestenfalls Objekte miteinander kommunizieren) zu intimen Ankern im Alltag der multilokalen Existenz hochmobiler Subjekte, an denen diese Rituale und Routinen zu entwickeln versuchen, um sich zu erholen, Kontaktaufnahmen an die Ziel- und Quellregionen in Gang setzen, aber auch um vor Ort fragmentierte Gemeinschaften zu pflegen. Wie in einem “Social Condenser,” dem Kanalisationsort im Bewegungsfluss wird hier sozialer Raum oder Öffentlichkeit aufgrund temporärer Verdichtungen mit dem Ziel pragmatischer Alltagsbewältigung kurzfristig hergestellt – und ebenso kurzfristig wieder aufgelöst.
Es führen Michael Hieslmair und Michael Zinganel (tracing spaces)
In Begleitung von Michael Klein / ÖGFA