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Retrospektive
Konrad Wolf (1925–1982) gilt als bedeutendster Regisseur der DEFA, als künstlerisches Aushängeschild der DDR. Und das, obwohl seine Filme kaum von strahlenden Held:innen der Arbeiterklasse erzählen. Seine Figuren sind stattdessen so wie er selbst: grüblerisch, zweifelnd, Fragen stellend: Was macht eine Gesellschaft aus? Wie kann es gelingen, sie nach sozialistischen Grundsätzen vernünftig zu organisieren? Welche Verantwortung als Individuum habe ich dabei? An Werk und Person des Filmemachers spiegeln sich die großen Utopien des 20. Jahrhunderts wider – und ihr Scheitern. Formal ist sein Schaffen oft seiner Zeit voraus, die Themen, die er immer wieder aufgreift, bleiben unvergänglich.
Mit freundlicher Unterstützung durch die DEFA-Stiftung, Berlin
Entwurzelter Sonnensucher
»Er war groß, dunkel, schweigsam, viele hielten ihn für schwer zugänglich, aber fast alle nannten ihn Koni, selbst die, die ihn nicht kannten«, schreibt der Autor Wolfgang Kohlhaase nach dem Tod über seinen Freund Konrad Wolf. Viele, die mit ihm zu tun hatten, beschreiben ihn als gründlich, sensibel und anspruchsvoll, als besonnen und selbstironisch. Am 20. Oktober 1925 wird er als Sohn des jüdisch-kommunistischen Arztes und Schriftstellers Friedrich Wolf in der Nähe von Stuttgart geboren, dessen großes Drama PROFESSOR MAMLOCK er später so kongenial verfilmen sollte. Sein älterer Bruder Markus wird indes später einmal Geheimdienstchef der DDR – die extreme Dichotomie, die so charakteristisch für Leben und Werk des Künstlers steht, ist gewissermaßen schon familiär veranlagt. 1936 emigriert die Familie nach Moskau. Mit gerade einmal 17 Jahren meldet er sich freiwillig bei der Roten Armee und sieht sein Geburtsland nun als Soldat auf der anderen Seite wieder. Erlebnisse und Eindrücke, die ihn nachhaltig prägen, hält er in seinem Tagebuch fest – »Wie wir leben, so schreiben wir es auf« – die Vorlage für seine wohl intensivste Arbeit ICH WAR NEUNZEHN. Nach Kriegsende arbeitet er in Berlin als Pressereferent und Korrespondent, wird verantwortlich dafür, welche Filme in den Kinos gezeigt werden dürfen und will schließlich selbst Regie studieren. Doch die Filmhochschule Babelsberg, die einmal seinen Namen tragen wird, eröffnet erst 1954. So geht er noch einmal nach Moskau, schon in dem Wissen, nach der Ausbildung wieder nach Deutschland zurückzukommen. Im Februar 1952 nimmt Wolf die Staatsbürgerschaft der DDR an, ein halbes Jahr später wird er Mitglied in der SED und die DEFA in den folgenden drei Jahrzehnten seine künstlerische Heimat. Zunächst befassen sich seine Filme mit der deutschen Vergangenheit und mit der Frage, wie es zu der Tragödie des Tausendjährigen Reiches kommen konnte. Sie sind bevölkert von (vor allem) starken Frauenfiguren, die zwar zerrissen sind von Gefühl und Verstand, aber immer beseelt von dem Wunsch, sich »richtig« zu verhalten. In all diesen Figuren finden wir Aspekte Konrad Wolfs wieder. Sie werden später noch offensichtlicher, wenn er sich Künstlerbiografien annimmt, die an den Gegensätzen von Anspruch und Realität scheitern – wie die sogenannte Deutsche Demokratische Republik, die ihn um gerade einmal sieben Jahre überlebt, als er 1982 im Alter von 56 Jahren an Krebs verstirbt. Sein widersprüchliches, komplexes Werk hat seitdem nichts an Strahlkraft eingebüßt.
(Florian Widegger)