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Ausstellung
Termine:
Ausstellung: 18.2. — 29.3.2024, täglich von 9–18 Uhr geöffnet
Matinee: 18.2.2024, 11:30 Uhr im Anschluss an den Gottesdienst
Workshop und Lesung: 9.3.2024, 13–17:30 und 18 Uhr, Raum der Begegnung
Während der Passionszeit wird die „Schmerzporträt“-Serie („Pain Portraits“) des Künstlers Matthias Mollner in der Lutherischen Stadtkirche in Wien ausgestellt.
Mollner setzt sich in diesem Bildzyklus mit der schweren Multisystemerkrankung seiner Partnerin Judith Schoßböck auseinander. Weitere Programmpunkte sind ein Workshop sowie eine Lesung, in denen Passion und Leiden auf besondere Weise reflektiert werden und koexistieren dürfen.
Viele Menschen mit ME/CFS, aber auch anderen schmerzhaften Krankheiten berichten neben der medizinischen auch von einer humanitären und spirituellen Krise bzw. Herausforderung ihrer Situation, für die unserer Gesellschaft häufig die Sprache fehlt. Die fehlende Anerkennung, eine Überforderung mit dem Leiden anderer sowie der oft schwer fassbare Zustand von Betroffenen führen häufig dazu, dass das Leiden beschönigt, ausgeblendet oder rationalisiert wird. Gegen diese Tendenzen stellt sich ein Ausstellungsprojekt, das dazu einlädt, genauer hinzusehen und Verständnis zu schaffen.
Matthias Mollner: Widerständiges Fräsen
Das Ausgangsmaterial für die „Schmerzporträts“ sind Fotos, die ich 2021/22 in mehreren Etappen von meiner bettlägerigen Partnerin gemacht habe. Es war mir wichtig, die Situation zu dokumentieren und im Besonderen auch diese Ambivalenz in der Wahrnehmung zu zeigen, die bei ME/CFS Betroffenen häufig vorkommt. Wer nicht an irgendwelche technischen Geräte angeschlossen ist, Verbände, Prothesen oder sonstiges medizinisches Material am Körper trägt und nicht im weißen Krankenhaus- oder Pflegebett liegt, kann ja nicht so schwer krank sein, oder? Diese falsche Wahrnehmung von Krankheit wollte ich untersuchen und in Bildern verarbeiten.
2022 entstand die 9‑teilige „Schmerzporträt“-Serie, in der ich das Dokumentarische meiner Fotografien in einen gedanklichen und physischen Raum hinaus erweitert habe. Die Bilder sind Foto, Malerei und Objekt, sie sind zugleich flach und dreidimensional. Die aus Spanplatten gefrästen und geschnittenen „Wurmlöcher“ brechen durch eine glatte Oberfläche. Sie winden sich hin und her und stehen als körperlich-räumliche Dissonanz im Kontrast zu den Abbildungen. In einige der Bilder habe ich außerdem Löcher geschnitten, die Teile der Motive verschlucken.
Die Fräsarbeit ist ein staubiger und langsamer Prozess, der scharfes Werkzeug und eine präzise Hand erfordert. Bei dieser Tätigkeit kämpfe ich gegen die Widerständigkeit des Materials an und arbeite mich Schicht für Schicht in die Tiefe vor. Am Ende werden diese Furchen beinahe lebendig und treten aus dem Bild heraus.
Judith Schoßböck: Passionsblumen-Gedanken
Die drei aufrecht stehenden Narben der Passionsblume werden auch als Nägel gedeutet, mit denen Jesus an das Kreuz geschlagen wurde. Extrakte dieser Blume nehme ich u.a. als Medikament ein. Sie helfen mir (leider nur sehr minimal) bei neurologisch bedingten Ausnahmezuständen.
Manche mit ME/CFS verbundenen Erlebnisse werden in meinem Bekanntenkreis gelegentlich als eine Art spirituelle Erfahrung beschrieben. Insbesondere der extreme Zustand, bei dem man im schweren Stadium oder „Crash“ sogar zu schwach sein kann, um dem Leiden selbst Ausdruck zu verleihen, und die dabei empfundene Todesnähe, verlangen manchmal nach einer philosophischen oder religiösen Orientierung.
Mit Blick auf meine eigene Krankheitsgeschichte habe ich mehrere solche Nahtod-Erfahrungen hinter mir, und manche davon regelmäßig vor mir. In meinem Gehirn fühlt sich das dann so an, als wäre ein Bereich entzündet oder aktiviert, der für Schmerzen zuständig ist, und manchmal, als verließe mein Geist meinen Körper. In dieser extremen Verletzlichkeit, einer „out-of-body“-Erfahrung, erscheinen normale Empfindungen und Verbindungen plötzlich als Teil des Unmöglichen, und unsere Sprache versagt. Der Schmerz ist dann allgegenwärtig, und gelegentlich auch universell.
Ich kann nur aus meiner Perspektive sprechen, aber eigentlich sollten in dieser Kirche zehntausende Porträts von verschiedenen Betroffenen hängen. Dass wir vor diesen Menschen dann gewissermaßen in Ehrfurcht niederknien würden, erschiene mir nicht seltsam, sondern angemessen: ein Korrektur-Mechanismus zur üblichen „Behandlung“ der Gesellschaft oder Behörden, bei der das Persönliche schnell politisch wird. Denn Menschen mit ME/CFS, so friedlich oder schlafend sie aussehen mögen auf manchen Bildern (Achtung: der Schein trügt), gehören angesichts ihres großen Leidens zu den Stärksten, aber Unsichtbarsten der Welt.