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Alexander Nitzberg liest Daniil Charms: Sieben Zehntel eines Kopfs/Essig, meine

Daniil Charms verhungerte 1942 in stalinistischer Gefangenschaft, nach Jahren politischer Verfolgung. Die Texte dieses Genies des Komischen und Absurden waren bis in die späten 80er Jahre in der Sowjetunion verboten.
Nur durch Glück und den Einsatz eines Freundes wurden seine Kurzgeschichten, Gedichte, Theaterstücke und Notizen gerettet. Über die letzten Jahrzehnte konnte so sein Nachlass aufgearbeitet werden. Auf dieser Grundlage basiert die erste deutsche Werkausgabe, die Charms nicht nur als Meister des Satirisch-Grotesken und Absurden, sondern auch als großartigen Sprachartisten und urkomischen Nonsens-Künstler neu entdeckt.
Die von Beate Rausch und Alexander Nitzberg übersetzte und herausgegebene Werkausgabe ist die bei Weitem umfassendste Sammlung von Charms’ Texten in deutscher Sprache und bietet vieles erstmals in deutscher Übersetzung. Sie wird im Herbst 2011 mit Erscheinen des 4. Bandes abgeschlossen sein.
Der legendäre Daniil Charms (1905-42), der russische Meister des Absurden, ist auch im Westen bestens bekannt. Vor allem durch seine Geschichten und Szenen. Weniger bekannt sind seine Verse, obwohl er sich selbst als Dichter sah. In Gedichten, so Charms, wirken rhythmische Kräfte, stark genug, um Objekte bewegen zu können. Sie stoßen vor den Kopf, lassen Bälle rotieren, Katzen fliegen, Menschen verschwinden. Für die neue Charms-Edition (Galiani Berlin) übersetzte der Lyriker und Herausgeber Alexander Nitzberg 230 Gedichte ins Deutsche, rund drei Viertel davon zum ersten Mal. Und mit seiner artistischen Rezitation versucht er, den bloßen »Text« zu beleben, ihn plastisch hervortreten zu lassen, bis dieser, nach Charms’ eigenen Worten, in der Lage ist, Fenster zum Bersten zu bringen. (Alexander Nitzberg)

Daniil Charms wurde 1905 als Daniil Iwanowitsch Juwatschow in St. Petersburg geboren. Er war Gründungsmitglied der avantgardistischen Künstlergruppe OBERIU, die nach zwei Jahren 1930 verboten wurde. Um der Zensur zu entgehen, schrieb er Literatur für Kinder, wodurch er seinen Lebensunterhalt nur notdürftig bestreiten konnte. Charms wurde mehrfach verhaftet und aus St. Petersburg (Leningrad) verbannt. Er starb 1942 im Gefängnis.

Alexander Nitzberg, *1969 in Moskau als Sohn von Künstlern. 1980 Ausreise nach Deutschland, Studium der Germanistik und Philosophie in Düsseldorf, lebt als freier Schriftsteller, Übersetzer, Publizist, Librettist und Rezitator in Wien. Er unterrichtet literarisches Schreiben an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und am Literaturinstitut Hildesheim. Buchpublikationen: Getrocknete Ohren. Gedichte (1996); Im Anfang war mein Wort. Neue Gedichte (1998); “Na also!” sprach Zarathustra. Gedichte (2000); Lyrik Baukasten. Wie man ein Gedicht macht (2006). Umfassende Übersetzungsarbeiten, u.a. Alexander Puschkin, Igor Sewerjanin, Wladimir Majakowski, David Burliuk, Boris Poplawski, Jelena Schwarz, Anna Achmatowa, Nikolaj Gumiljow, Joseph Brodsky, Anna Radlowa. Selbstmörder-Zirkus. Russische Gedichte der Moderne erschien 2003.
Nitzberg hatte im Sommersemester 2010 die erste Ernst-Jandl-Dozentur für Poetik der Universität Wien und der Alten Schmiede inne.

Lesung
arts (general)
Öffentlichkeit
07.02.2011 (Mon)
19:00 -
Alte Schmiede , 1010 Wien