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Videocity

Videocity Basel x FLUCC Vienna present: Augen_Blick / eye_view – Videokunst aus der Ukraine.

Mit/With:
Yana Bachynska
Sergey Bratkov
Marina Dykukha
Olia Fedorova
Maksym Khodak
Mykola Ridnyi

Kuratiert von / Curated by:
Andrea Domesle, Walter Seidl

Eröffnung / Opening: 20:00h
DJ-Set 21:00h: u&me4ever (Stefan Geissler + Walter Seidl)

Ob durch den Blick eines Gegenübers oder durch eine künstliche Linse – in der heutigen Welt vergeht kaum ein Moment, der bildlich nicht festgehalten wird. Die eingehenden visuellen Informationen, die wir erhalten, prägen unsere Weltanschauung. Diese wird unweigerlich von unseren subjektiven Erfahrungen und Überzeugungen determiniert. Seit der Antike hat das Sehen in erster Linie dazu geführt, Wirklichkeit zu generieren. Unser Verständnis von Sehen und dessen Beziehung zu unserem Sein ist durch die digitale Unmittelbarkeit und die Allgegenwärtigkeit von Technologie komplizierter geworden. Was früher im Leben vieler zur Frage führte, warum nicht wahrgenommen zu werden, führt heute zur Problematik, digital nicht dokumentiert zu werden. Das Gesehen-Werden hat im Zuge von Handys und deren Kameras, die allen ständig zur Verfügung stehen, sowie durch Überwachungsgeräte und digitale Medienplattformen eine völlig neue Bedeutung bekommen. Die Technologie hat nicht nur Bereiche unserer Existenz in physischer und digitaler Hinsicht erweitert, sondern auch ethische Probleme aufgeworfen. Vor allem stellt sich die Frage, ob das Einverständnis der Öffentlichkeit ad hoc existiert, und sich dies auch auf die Überwachung durch Kameras und externe Maßnahmen erstreckt bzw. ob solche Überwachungsszenarien überhaupt vertretbar sind? Der Themenabend Augen_Blick zeigt die vielfältigen “Big Brother” Situationen, die auf subtile Weise in unserem physischen und digitalen Leben entstanden sind. Ein Entfliehen erscheint heutzutage auch vor einer “Big Sister” Situation nicht mehr möglich.
Die gezeigten Arbeiten stammen von Künstler:innen aus der Ukraine und wurden 2022 beim Projekt Videocity (https://videocity.org) in Basel im öffentlichen Raum gezeigt, wo für das Thema Augen_Blick insgesamt an die 40 internationale Künstler*innen ausgewählt wurden.

Texte zu den künstlerischen Arbeiten:
Maksym Khodak, Flags of Propaganda, 2018, Video, 3´
Battleship Potemkin ist einer der bekanntesten Filme der Geschichte. In seinem Kern war er jedoch Propaganda der Bolschewiki. Goebbels bemerkte: “[Dies ist] ein wunderbarer Film, der im Kino seinesgleichen sucht. Jeder, der keine feste politische Überzeugung hat, könnte zum Bolschewisten werden, nachdem er den Film gesehen hat”. Das beweist einmal mehr, dass sich das Meisterwerk erfolgreich in einem bestimmten Trend etablieren kann. Selbst die schlimmsten Ideen können mit künstlerischen Mitteln propagiert werden. Der Höhepunkt des Films, der die vorherige These bestätigt, ist das Hissen einer roten Flagge über dem Deck des Schlachtschiffs. Aufgrund der Besonderheiten des Schwarz-Weiss-Kinos war es jedoch schwierig, die rote Farbe der Flagge zu zeigen. Deshalb beschloss Sergei Eisenstein, eine weisse Flagge zu nutzen. Anschliessend malte er, jedes Einzelbild des Films, wo eine Flagge dargestellt wurde, in Rot an. In meiner Arbeit wiederhole ich die Geste des Regisseurs, indem auch ich die Fahnen einfärbe, mit dem einzigen Unterschied, dass ich statt der Farbe der bolschewistischen Flagge die Farben der einflussreichsten Ideologien verwende, um die in der modernen ukrainischen Gesellschaft gekämpft wird.* - Maksym Khodak

Marina Dykukha, Big bro is fucked up watching you, 2014, Video 16´´
“Big bro is fucked up watching you” arbeitet mit digitaler Verarbeitung, scannt Objekte in der Umgebung [innerhalb eines Radius von 5 Metern um die Projektionsfläche] und interpretiert die Bewegungsdaten in einer konzeptionellen Sichtweise. Die Aktion findet in Echtzeit statt. Das Bild eines Auges folgt den Besuchern, bis mehr als 5 Personen die Projektionsfläche durchqueren. Dadurch wird das Bild auf der Leinwand gestört und gerät ins Wanken. Die Installation ist eine Metapher für den Einfluss von Big Data und Algorithmen und die Art und Weise, wie sie das Verhalten der Menschen oder den Verlauf von Ereignissen steuern, und wie dies umgekehrt werden kann, wenn die Menschen das System, in dem sie leben möchten, gemeinsam definieren. Es ist eine visuelle Darstellung [die Projektionsfläche der Installation] der globalen Beziehung zwischen dem Individuum und dem System, in dem es lebt [der Installationsbildschirm mit einem beobachtenden Auge]. Wir können beobachten, wie das ungesunde System von den Menschen gehackt wird, die sich zusammenschliessen, um zu protestieren und “Nein” zu denen zu sagen, die sich entscheiden, dem System die Macht zu nehmen. Das Projekt arbeitet mit der Idee der Erneuerung und des Paradigmenwechsels zwischen Kunst und Politik, einem Individuum und dem System. Es drängt erstere zu einer direkten Aktion und denkt das Feld der wechselseitigen Beeinflussung neu. Das Konzept bedient sich der Methode der Interaktion, bei der die Störung nicht zu einem gewöhnlichen Fehler, sondern zu einem bedeutenden Sieg über das System als Ganzes wird. Das Projekt entstand nach den Ereignissen des Euromaidan im Jahr 2014 in Kiew, der Ukraine. - Marina Dykukha
Mykola Ridnyi, Seacoast, 2008, Video 1´
*Diese, an einer Küste des Schwarzen Meeres gedrehte Videoarbeit, zeigt einen statischen Horizont, der mit den Figuren von Fischern übersät ist. Die ruhige Oberfläche des Bildes wird in regelmäßigen Abständen von Szenen mit Quallen unterbrochen, die auf dem Boden spritzen. Die wichtigste Assoziation ist das Geräusch von Bombenabwürfen, das mit Aufnahmen von Frequenzen eines Düsenflugzeugs erzeugt wird. Das Video vermittelt die Unbeständigkeit und Relativität der Ruhe, wie schnell und leicht militärische Aggressionen in der modernen Welt eskalieren können. Diese Arbeit entstand als Reaktion auf den Konflikt zwischen Georgien, Abchasien und Russland, der 6 Jahre vor dem Einmarsch in die Ukraine und der Annexion der Krim stattfand.* - Mykola Ridnyi
Olia Fedorova, Dry Fire, 2021, Video, 50´´
“Dry Fire” also “Trockenes Feuer” bedeutet beim Bogenschiessen, einen gespannten Bogen ohne Pfeil abzufeuern. Diese Praxis ist gefährlich, da die Energie, anstatt von einem Pfeil absorbiert zu werden, durch Schwingungen der Bogensehne und der Bogenglieder zerstreut wird, was zu erheblichen strukturellen Schäden am Bogen und zur Verletzung eines Schützen führen kann. - Olia Fedorova
Olia Fedorova, The Catch, 2017—2018, Video, 10´ 40´´
«…Er sah am Ufer zwei Boote, die von Fischern zurückgelassen wurden, die ihre Netze wuschen. Als er in eines der Boote stieg sagte er zu Simon: “Fahre raus ins tiefe Wasser und lass die Netze zum Fangen aus.” Simon antwortete: “Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen” Das taten sie, und sie fingen eine so große Menge Fische, dass ihre Netze zu reißen drohten. Deshalb winkten sie ihren Gefährten im anderen Boot, sie sollten kommen und ihnen helfen. Sie kamen und gemeinsam füllten sie beide Boote bis zum Rand, sodass sie fast untergingen. Als Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sagte: “Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder” Denn er und alle seine Gefährten waren erstaunt über den Fischfang, den sie gemacht hatten. Da sagte Jesus zu Simon: “Fürchte dich nicht, von nun an wirst du Menschen fangen.” Also zogen sie ihre Boote ans Ufer, ließen alles zurück und folgten ihm nach» (Lukas 5:1-11)
Sergey Bratkov, Architectural Measurements, 2018, Video, 4´ 9´´
Das kurze Video, das Sie gerade gesehen haben, wurde vor vier Jahren gedreht. Mein Bruder Yura, ein Architekt, vermisst die zerstörten Gebäude eines ehemaligen Kindersanatoriums in dem Dorf Led in einem Vorort von Charkow, wo er lebt. Heute zählt mein Bruder die Explosionen der Bomben vor dem Fenster seines Hauses. Er bewegt sich praktisch nicht. Er ist krank. Er ist 75 Jahre alt. - Sergey Bratkov
Yana Bachynska, I´m sick and tired of you, 2018, Video, 5´ 5´´
Riesige, für die Ewigkeit erbaute Monumente lasten auf meinem kleinen sterblichen Körper. Wir sind ungleich, es gibt die Geschichte, die für sie steht. Es gibt nur das tägliche Leben, das für mich steht und den Dialog zwischen uns unmöglich macht. Trotzdem werde ich versuchen, mit ihnen zu sprechen. Das Video wurde in Szczecin, Polen, gedreht. Es gab keine spezielle Auswahl der Denkmäler, denn es stellte sich heraus, dass sie meistens gleich sind: Eine naturgetreue, überlebensgroße Figur eines Mannes, der die Fußgänger*innen überragt. Die meisten der Denkmäler repräsentieren politische, militärische oder religiöse Macht. Auch die Denkmäler für Dichter wurden im gleichen Kanon der stolzen Männerfigur angefertigt, denn auch die Poesie kann zu einer Macht für die Autorität werden. - Yana Bachynska

Screening
Video
Film
arts (general)
25.01.2023 (Wed)
20:00 -
flucc , 1020 Wien