rewind.esel.at
The Denial of Coevalness

Melissa Peritore

March 23rd - April 22nd 2021
curated by STUDIO12 and Helena Lang
with a text of Helena Lang

STUDIO12, Untere Augartenstrasse 5
1020, Vienna

Die Leugnung der Gleichzeitigkeit

Nach Johannes Fabian ist die Leugnung der Gleichzeitigkeit ein Mechanismus, sich nicht durch den Raum, sondern durch die Zeit zu distanzieren. Ein Mechanismus, der es ablehnt, Angehörige anderer Kulturen als vollständig der Gegenwart zugehörig zu betrachten und ihnen eine andere, tendenziell rückständige, Zeitlichkeit zuschreibt.

Die Arbeiten der italienisch-philippinischen Fotografin Melissa Peritore sind Dokumentationen ihres fast 5 Jahre andauernden Aufenthalts auf den Philippinen. Der ausgestellte Auszug zeigt die im Rahmen der Passionsspiele stattfindenden Selbstkreuzigungen im Wallfahrtsort Kapitangan. Die Aufnahmen sind in Chronologie mit den biblischen Ereignissen angeordnet: Kreuztragung, Nagelung an das Kreuz, Kreuzaufrichtung und die Kreuzigung in ihrem vollen Ausmaß.

Die Aufnahmen lassen einen Moment der Irritation entstehen, indem eine allseits bekannte Szene in einen anderen, uns eher unbekannten, kulturellen Kontext versetzt wird. Die Tendenz das Gesehene mit den Attributen „archaisch“ oder „unzeitgemäß“ zu versehen, resultiert aus dem Versuch die Bilder in unser vorgeprägtes Wahrnehmungssystem zu verorten (ein Konstrukt, das von Kaja Silverman unter dem Begriff Blickregime geprägt wurde). Technische Gegenstände sowie angeschnittene städtische Elemente, die die Szene als gegenwärtig auszeichnen, stellen die Strukturen unseres vorgefestigten Blicks in Frage. Mit Hilfe der verwendeten Attribute scheinen wir der sich uns präsentierenden Kultur eine andere physische Zeit zuzuordnen, um uns von dieser zu distanzieren: Wir verweigern der realen Handlung – die der Kreuzigung – die zeitgleiche Existenz zu unserer westlichen Kultur und leugnen damit das gleichzeitige Stattfinden lokaler Traditionen philippinischer Kultur. Wir wenden dadurch Fabians Theorie der Leugnung der Gleichzeitigkeit an: Indem wir die beschriebene Kultur in das Konstrukt unserer historischen Chronologie einreihen, weisen wir ihr eine Position in einem von uns hergestellten Machtverhältnis zu. So versuchen wir jene Kultur aus unserer eurozentrischen Perspektive nachvollziehen zu können.

Die Fotografien Peritores handeln von Spannungen solcher Negation von gleichzeitigen Handlungen, Gefühlen und Geschehnissen. Die Arbeiten sind in der Lage uns heranzuziehen für eine bekannte Szenerie, lassen uns jedoch für einen Moment innehalten und fordern uns auf, die eigene Perspektive auf Kultur und Gesellschaft zu reflektieren. Die Bilder formulieren – bleiben wir in der Thematik der christlichen Heilsgeschichte – einen Appell an die Auferstehung der Akzeptanz und Verinnerlichung der kulturellen Gleichzeitigkeit.
Helena Lang

Melissa Peritore (Italien, 1984), lebt und arbeitet zurzeit in Wien.

Installation
Fotografie
arts (general)
23.03.2021 (Tue) - 22.04.2021 (Thu)
10:00 -