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Josef Achmann und die Künstler der Zeitschrift "Die Sichel" 1919-1921

Wiedereröffnung / Reopening / Open House

Josef Achmann und die Künstler der Zeitschrift “Die Sichel” 1919-1921

Eröffnung: 10. September, 11 bis 21 Uhr.
Um eine zu große Besucherdichte zu vermeiden, bitten wir Sie, den Zeitpunkt Ihres Kommens unter +4369911506010 (telefonisch oder per WhatsApp) oder per Email unter contact@galeriehochdruck.com rechtzeitig bekanntzugeben.

Im Impressum der ersten Ausgabe der expressionistischen Zeitschrift “Die Sichel”, die von 1919 bis 1921 in Regensburg erschien, hieß es lakonisch:

Mitarbeiter der nächsten Hefte:
Josef Achmann, Gerhard Ausleger, Bruno Beye, Theodor Beye, Oskar Birkenbach, Georg Britting, Heinrich Campendonc (sic!), Aloys Erbach, Edmund Fabry, Franz Fabry, Arthur Goetz, Alfred Graf, Hans Harbeck, César Klein, Hedwig Mankiewitz, Felixmüller, Mynona, Will-Erich Peuckert, Richter-Berlin, Will Reindl, German Rüger, Anton Schnack, Friedrich Schnack, Hermann Sendelbach, Georg Tappert, Otto Zarek.

Die Sichel (Verlag Die Sichel in Regensburg) wird herausgegeben von Josef Achmann und Georg Britting und erscheint einmal monatlich. Verantwortlich für den literarischen Teil ist Georg Britting, für den grafischen Teil Josef Achmann. Alle Zuschriften sind zu richten an… etc.

Auf ein einleitendes „Programm“ musste der Leser verzichten. Aber die Liste der (vorläufigen) Mitarbeiter machte klar, dass bildende Kunst und Literatur absolut gleichberechtigt nebeneinander stehen sollten und man ging mit kurzen Prosatexten und Gedichten sowie Holzschnitten unbekannter junger Literaten und Künstler sowie klingender Namen wie Mynona oder Conrad Felixmüller als „Zugpferde“ in medias res. Das Motto der Zeitschrift „Schlaget die Sicheln an, denn die Ernte ist reif“, ein Zitat aus dem Alten Testament, wurde in einem Textbeitrag Achmanns erst gegen Ende des ersten Heftes offenbart, gefolgt von einem in typisch expressionistisch überhöhter Sprache abgefassten Appel an die Künstlerkollegen:

Ich höre immer Schreie von revolutionärer Kunst und sehe nur pathetisch verzerrte Akademien, schuppige Dekorationen, spekulative Farbenprestos und übernommene Aegyptologien: kantige Impressionen, entstanden aus der Not der nicht vorhandenen Notwendigkeit. Immer wollt Ihr verstanden sein, als ob es nicht wichtiger wäre, gefühlt zu werden. […]
Kunst ist Trieb im Menschen: warum laßt Ihr Euch nicht von Eueren Gefühlen treiben, die Euch in den Bann der Unendlichkeiten zwingen, die Euch die Decke des Zimmers aufreißen, dessen Wände Euch einkeilen und deren Schnittpunkte Euch teilen, warum folgt Ihr nicht den Gefühlen, wenn Sie Euch Sonnen, Gottheiten, Tiere, Steine, Blumen oder madonnenhafte Ovale und kämpfende Sicheln in den Angesichten zeigen statt naturwissenschaftlicher Begrenztheiten von Nase, Augen, Rumpf oder sonstiger Arithmetien?
Ich bin kein Abstraktionist. Es müßte nur sein, Ihr hieltet die vierte Dimension für abstrakt. Das ist sie nicht! Denn Ihr Maß sind Eure Gefühlserlebnisse und deren Summe das Bild.

Nur drei Jahrgänge erlebte die Zeitschrift, deren monatliches Erscheinen von Beginn an nicht eingehalten werden konnte. Sie reiht sich in eine fast unüberschaubare Zahl expressionistischer Zeitschriften zwischen 1910 und 1921 ein, in denen viele der Mitarbeiter der „Sichel“ – inklusive Josef Achmann – ebenfalls Beiträge veröffentlichten. So entstanden interessante Querverbindungen zu anderen Zentren Deutschlands mit deren jeweiligen expressionistischen Sprachrohren wie „Die Aktion“, „Der Sturm“ (Berlin), „Die rote Erde“, „Kündung“, „Silbergäule“, „Der Sturmreiter“ (Hamburg), „Der Weg“, „Die Bücherkiste“ (München), „Menschen“ (Dresden), „Die schöne Rarität“ (Kiel). Georg Britting resümierte 1922 in der wegen ihrer ebenfalls hochwertigen grafischen Beiträge wichtigen aber genauso kurzlebigen Hamburger Zeitschrift „Die rote Erde“ über die Arbeit Josef Achmanns:

Wenn wir nachts um zwei oder auch um drei Uhr durch die brave, schlafende Stadt in unsere zwei Dachstuben am Königshof zurückkehrten, setzte sich Achmann noch an den Tisch, rauchte eine Zigarette und legte eine Holzplatte bereit. Dann knirschte auch schon der Stichel im Holz und flogen die Späne. Die kräuselten sich oft lieblich, zu schönen Spiralen, wie die Streifen, die man aus der Apfelhaut schält. Manchmal prasselten sie hart und kurz zu Boden. O, wie die Platte nun aussah! Wie ein zerquältes, von Runzeln durchzogenes, zerschundenes Menschenangesicht. Dann schmierte die walze Druckerschwärze drüber hin. Schwarz und weiß stehen gegeneinander auf, Linien suchen, verschlingen und trennen sich und eine Straße, ein Strauch und ein hoher Himmel träumen. Zauberei. […] Der Krieg warf ihn herum In die Schützengräben in den Vogesen. Später in die Etappe, nach Gent, Brügge. Nach Oudenaarde, wo er ein Theater baute, es mit Fresken bemalte. Das Kriegsende sah ihn wieder in Regensburg. In seiner Soldatenzeit ist an Erwähnenswertem fast nur Graphik entstanden. […] Seine Graphik brachte die ersten Vorstöße ins Neuland. Seine Holzschnitte hatten wie unter einem Zwang gelitten an überkommener Form. In seinen Radierungen war er ihr fast entwischt. Nun riß er krafterprobend, alle Zäune ein. Von einem unheimlich sicheren Gefühl für Schwarzweißverteilung getragen, schuf er Blätter, die nichts mehr „darstellen“, deren Kraft und Schönheit in einem harten Rhythmus hinschwingen. […] Seine graphischen Blätter haben eine große Einfachheit erreicht. Mächtige, geschwungene Linien, breite strahlende Flächen von schwarz und weiß. Und die Münchner Neue Sezession, der Bund der „Jungen“, hat von Achmanns Graphiken drei aufgehängt… (zitiert nach: Veit Loers, Josef Achmann. Gemälde und Graphik, Regensburg 1979.)

An Politik im engeren Sinn scheinen weder Achmann noch Britting interessiert gewesen zu sein und so blieb die „Sichel“ nicht nur weitgehend frei von politischem Engagement, wie es seit Gründung der „Novembergruppe“ 1918 breite Kreise bei Künstlern zog, sondern zeigte sich auch von den Kriegserlebnissen – ein anderer breiter Themenkomplex in der Kunst nach 1918 – sonderbar unbeeindruckt. Die Mehrzahl von Achmanns Motiven machen zur Zeit der Herausgabe der „Sichel“ hingegen Themen aus seiner Privatsphäre sowie religiös-metaphorische Inhalte aus. Unter den Porträts finden sich neben Selbstporträts mehrere Darstellungen des Mitherausgebers Georg Britting sowie Achmanns Frau, der am Münchner Residenztheater engagierten Schauspielerin Magda Lena (Magdalena von Perfall), die auch in den von ihr gespielten Rollen dargestellt wird. Fast alle Darstellungen weisen dabei, indem bestimmte Eigenschaften überhöht oder symbolisch aufgeladen werden, über das Porträthafte hinaus. So ist der Titel für das Motiv einer abstrahierten Personengruppe in einem Exemplar eines Holzschnittes als „Familie“, in einem anderen Exemplar des gleichen Holzschnittes als „Gemeinschaft“ überliefert. Mit in für den Expressionismus typischer Weise lassen sich viele der religiösen Motive auch als Reflexion über das Künstlertum deuten oder werden zu Symbolen der künstlerischen Sphäre selbst: So steht das Motiv der „Sichel“ für die künstlerische Ernte; „Empfängnis“ für die künstlerische Inspiration; „Mutterschaft“ und „Geburt“ für den künstlerischen Schöpfungsakt; Helden des Alten Testaments wie Simson oder Judith für den Künstler oder die Künstlerin als herausragende Exponenten der Gesellschaft. Einen dritten Motivkomplex bilden mehr oder minder abstrakte Ansichten von Regensburg und dessen Umgebung. Wie Achmann in seiner Selbstbeschreibung ironisch bekundete, war er kein „Abstraktionist“. Die Einflüsse der die französische Avantgarde der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts bestimmenden Richtungen Kubismus, Futurismus oder Rayonismus sind aber nicht zu übersehen. Hier scheint Achmanns Parisaufenthalt von 1912 bis zum Kriegsausbrauch 1914 deutliche Spuren hinterlassen zu haben.

Die Galerie Hochdruck besitzt Probedrucke von Josef Achmann, die im Zusammenhang mit der späteren Publikation sowohl in der „Sichel“ als auch für andere Zeitschriften wie „Die rote Erde“ entstanden sind. Darüber hinaus Probedrucke von Holzschnitten Achmanns, die nicht Eingang in die „Sichel“ fanden oder auch aus Gründen des Formats dort keinen Platz finden konnten. Ergänzend werden auch Holzschnitte jener Künstler gezeigt, die zwischen 1919 und 1921 Beiträge für die „Sichel“ lieferten, womit sich ein lebhaftes Bild der expressionistischen Szene in Deutschland unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg und abseits der altbekannten Darstellungen der „Stars“ des deutschen Expressionismus ergibt.

Für Freunde der expressionistischen Radierung zeigen wir gleichzeitig Arbeiten des Wieners Georg Ehrlich sowie von Käthe Kollwitz und Emil Nolde.

Kunstausstellung
Ausstellung
arts (general)
Design
10.09.2020 (Thu) - 06.11.2020 (Fri)
11:00 -