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Christian Bazant-Hegemark / Karin Pliem

Christian Bazant-Hegemark | Inseparable

Das Fragmentarische befindet sich im Aufbruch: Flüchtig und transitorisch ist es unterwegs im Namen der Auflösung des Totalitären. In der Spannungshaltung einer doppelten Relationalität von Abschluss und Öffnung sucht es den Kontakt zur Grenze eines sich außerhalb befindlichen Ganzen. Anstelle seiner Selbstgenügsamkeit – anstatt also seinen „Inhalt zum Sinn“ zu haben – verweist das Fragment in seiner Unfertigkeit zunächst auf das außerhalb liegende Ideal eines geschlossenen Ganzen: „Diesen größeren Zusammenhang“, der vom Fragmentarischen ex negativo behauptet wird, kann durch es selbst jedoch nie bewiesen werden. Die Folge ist eine „grundlegende Unsicherheit, die für Fragmente charakteristisch ist“.

In solch einer planvoll erregten Unsicherheitszone verschwimmen die Sinnzusammenhänge. Die Aufmerksam- keiten für Einzelheiten werden geschärft und die Interpretationsmöglichkeiten stimuliert. Weggelassenes drängt nach Ergänzung. Das System einer abgeschlossenen Werkästhetik wird durch das Unvollendete des Fragments geöffnet. […]

Text: Michael Paninski

Karin Pliem | De natura

De natura bezieht sich als Ausstellungstitel auf die künstlerische Erörterung von Relationen zwischen biologischen und zivilisatorisch-kulturellen Evolutions- und Transferprozessen, die Karin Pliem seit über 20 Jahren vor allem im Medium der Malerei durch- und vorführt. Ihr Konzept der natura (naturae) setzt sich aus Lebewesen aller Art zusammen, die aus unterschiedlichsten Ökosystemen und Erdregionen stammen – ausgenommen Homo sapiens. Dieser ist allenfalls durch seine Relikte oder durch kulturell-zivilisatorische Produkte vertreten – Architektur- und Skulpturfragmente, memento-mori-artige Totenschädel oder auch gentechnologisch veränderte Organismen. Aus den von der Künstlerin weltweit gesammelten oder recherchierten Vorbildern ihrer Bildelemente entstehen im Zuge des Malprozesses Hybride aus realen Organismen und Artefakten oder auch gänzlich neu erfundene Kreationen, die im Kern alle etwas mit der Vitalität und Präsenz ihrer Vorbilder zu tun haben. Resultat ist pro Bild ein im Detail oft konfligierendes, letztlich aber symbiotisches Miteinander von Komponenten unterschiedlichster Provenienzen. Karin Pliems Natur-Stücke spiegeln somit weniger die sichtbare Natur wider als ihre Auffassung, dass „selbst die heterogensten Dinge der Welt einen gemeinsamen Nenner, einen ursächlichen Zusammenhang“ haben.
De natura zitiert als Ausstellungstitel zudem nicht nur das von dem hispanisch-westgotischen Gelehrten Isidor von Sevilla Anfang des 7. Jahrhunderts verfasste Buch De natura rerum (Von der Natur/dem Wesen der Dinge), in dem der Autor naturkundliche und zugleich gesellschaftliche Themen erörterte, oder die dem Paracelsus zugeschriebene gleichlautende Schrift (1538), in der der damals umstrittene Arzt das Wachstum neuer Lebewesen aus dem Verwesungsprozess organischer Stoffe darstellte, sondern paraphrasiert auch den Titel von Vitruvs maßgeblichem Werk De architectura (Rom, 33–22 v.u.Z.). Architektur taucht in Karin Pliems hier ausgestellten Werken nämlich immer wieder auf, auch wenn nur im Hinter- oder Untergrund ihrer Malereien: Der antike Tempel von Segesta, eine westafrikanische Hausfassade oder Versatzstücke aus der manieristischen Gartenarchitektur von Bomarzo bilden multikulturell konnotierte Backstage-Szenarien, die von heftig florierenden Pflanzen und dazwischen flottierenden (Wasser-)Tieren gleichsam überwuchert werden. „Nicht zuletzt“, sagt Karin Pliem dann wieder im Sinn von Vitruvs „distributio“, „geht es mir um das Bild in einem durchaus klassischen Sinn: Die malerische Behandlung und Formulierung der Details muss innerhalb der mehrschichtigen Tafelbildfläche einem kompositorischen Gedanken Folge leisten. Weshalb meine Bildtitel auch gerne musikalische Satz- oder Tempobezeichnungen paraphrasieren – und umgekehrt meine Malerei gerne musikalisch interpretiert wird.“

Text: Lucas Gehrmann

Eröffnung
arts (general)
Bildende Kunst
27.06.2019 (Thu) - 03.08.2019 (Sat)
18:00 -