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Retrospektive
»Nicht besser sein als die anderen, aber anders.« Diesen Leitsatz hat sich Karin Brandauer (1945–1992) zum Lebensmotto gemacht. Nach ihrer frühen Ehe mit Klaus Maria Brandauer begnügt sie sich nicht mit der Rolle als Ehefrau und Mutter. Sie studiert an der Wiener Filmakademie, verfolgt eine unabhängige Karriere und dreht als eine der ersten Frauen im ORF eine Vielzahl preisgekrönter Film- und Fernseharbeiten. Zum 80. Geburtstag erinnert das Filmarchiv Austria mit einer kleinen Hommage an die viel zu früh verstorbene Regisseurin.
Mit freundlicher Unterstützung durch das ORF-Archiv
Große Sorgfalt und Gründlichkeit
»Ich habe mich immer mit irgendwelchen Minderheiten und speziellen Situationen, in die Menschen in verschiedenen Zeiten geraten können, beschäftigt. Ob ich auf Romane zurückgegriffen oder selber ein Drehbuch geschrieben habe, es ging immer um menschliche Schicksale innerhalb von großen politischen Zusammenhängen, um Extremsituationen, denen Menschen in Grenzsituationen einer Zeit, der Jahrhundertwende, dem Beginn des Ersten Weltkriegs oder der Zeit vor dem Zweiten, ausgesetzt waren, und wie sie reagieren.« Mit diesen Worten hat Karin Brandauer im Gespräch mit der Zeitschrift Filmkunst ihr Anliegen, Filme zu machen, auf den Punkt gebracht. Gleich mehrere inhaltliche wie formale Linien bzw. Gegensatzpaare ziehen sich durch ihr reiches, im Laufe von knapp 15 Jahren entstandenes Werk, dem das Filmarchiv Austria im Mai 2018 bereits eine umfassende Retrospektive sowie eine Buchpublikation in der Edition Film.Geschichte.Österreich gewidmet hat. Nach ersten Dokumentarfilmen für den ORF verlegt Brandauer ihren Schwerpunkt auf Literaturverfilmungen, die – zunächst – in epischem Ausmaß von Lähmung und Untergang einer großbürgerlichen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts erzählen. Mit dem Zweiteiler DER WEG INS FREIE nach Arthur Schnitzler und mit ihrem Mann in der Hauptrolle, feiert sie ihren ersten großen Durchbruch bei Publikum und Kritik, die den Film schlicht als »Zauberkunststück« bezeichnet. In weiterer Folge wendet sie sich immer mehr den unteren Bevölkerungsschichten, insbesondere dem bäuerlichen Milieu zu (in ihrer wunderbaren Peter-Rosegger-Verfilmung ERDSEGEN prallen beide Welten aufeinander). Die Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte ist dabei stets zentral – ob in der breit angelegten Felix-Mitterer-Adaption VERKAUFTE HEIMAT, in der das Schicksal der Südtiroler unter faschistischer Herrschaft thematisiert wird, oder in der Verfilmung der bahnbrechenden Marienthal-Studie EINSTWEILEN WIRD ES MITTAG, für die sie den Fernsehpreis der Volksbildung in München erhält. SIDONIE, die wahre Geschichte eines Roma-Findelkinds, das 1933 auf den Stufen eines Krankenhauses in Steyr aufgefunden und später von den Nazis ermordet wird, gilt vielen als Brandauers opus magnum. Sie selbst versteht den Film als Plädoyer für Toleranz, Mut und ein verständnisvolleres Zusammenleben. Auf ihrem Karrierehöhepunkt, nach zahllosen Auszeichnungen für SIDONIE, stirbt Karin Brandauer – viel zu früh. Ihre vielschichtigen, spannenden und (schlicht) überaus schönen Arbeiten bleiben bestehen – wie auch die Haltung dieser unbeugsamen Künstlerin dem Werk bis heute ungebrochene Aktualität verleiht.